Die wundersame Wandlung einer Apotheke

20.9.2014, 20:00 Uhr
So sah es einmal aus in der ehemaligen Apotheke. Es scheint, als wäre die Zeitma­schine rückwärts gelaufen.

© Foto: Stefan Hippel So sah es einmal aus in der ehemaligen Apotheke. Es scheint, als wäre die Zeitma­schine rückwärts gelaufen.

Über dem Eingangsportal stehen in Standstein gemeiselt „Strauss Apotheke“, das Firmenlogo mit dem Strauss und die Jahreszahl „1916“. Seit seiner Fertigstellung vor fast einem Jahrhundert beherbergte das Wohn- und Geschäftshaus Kinkelstraße 2 im Erdgeschoss die Strauss-Apotheke. Mit ihrem Wechsel in die Ostendstraße 198 im März 2013 endet eine Ära. Im November ist „Gangwerk“ eingezogen – der Orthopädieschuhmachermeister Albrecht Kirchhof mit seiner Werkstatt.

Der viergeschossige Satteldachbau im Stil des barockisierenden Neuklassizismus mit Eckkuppel, Sandsteinerdgeschoss und Erker mit geschweiftem Giebel steht unter Denkmalschutz. Entworfen wurde er vom Architekturbüro Feichtinger und Scanzoni. Der aus Oberösterreich stammende Hans Feichtinger hatte sich 1901 in Nürnberg als Architekt selbstständig gemacht. Ob es sich bei Scanzoni um seinen Landsmann und Zeitgenossen Hermann Scanzoni handelt, ist nicht belegt. Bauherr war Ferd. (vermutlich Ferdinand) Munkert.

Die Strauss Apotheke ist umgezogen, Albrecht Kirchhof ist mit seiner Orthopädi­schen Schuhmacherei eingezogen.

Die Strauss Apotheke ist umgezogen, Albrecht Kirchhof ist mit seiner Orthopädi­schen Schuhmacherei eingezogen. © Stefan Hippel

Es liegt nahe, dass sich dahinter der Inhaber des Baugeschäfts verbirgt, das unter dem Namen „Andreas Munkert“ lief, eines Architekten, von dem belegt ist, dass er 1906 als Privatier einen Steinwurf entfernt in der Ostendstraße 193 a gewohnt hatte – einen Steinwurf entfernt von dem Grundstück des ehemaligen Leinker’schen Schlosses, auf dem 1916 das Wohn- und Geschäftshaus entstand.

Er habe durch Zufall von seinem Vermieter erfahren, dass die Räumlichkeiten der Strauss-Apotheke frei würden, erzählt Kirchhof. „Das war ein Fingerzeig des Himmels.“ Denn just zu dieser Zeit habe er geplant, sich selbstständig zu machen und dafür geeignete Geschäftsräume gesucht. Die im Hause Kinkelstraße 2 freiwerdenden waren genau nach seinem Geschmack.

Nicht ganz so reibungslos ließen sich die zahlreichen behördlichen Auflagen erfüllen. Unter anderem mussten die des Denkmalschutzes und die des Ordnungsamtes unter einen Hut gebracht werden. Das hieß unter anderem auch, die Toilette behindertengerecht umbauen, ohne gravierend in die historische Bausubstanz einzugreifen. Jetzt sieht von außen alles aus wie eh und je. Drinnen im Verkaufsraum aber scheint es, als wäre die Zeitmaschine rückwärts gelaufen und zu Beginn des 20. Jahrhunderts stehengeblieben. Die Sachlichkeit der Apotheke ist einer behaglichen, nostalgischen Wohnzimmeratmosphäre gewichen, die zum Verweilen einlädt. Geblieben sind der Raum mit den großen Apothekerschränken und das Büro mit dem ausklappbaren Bett für den nächtlichen Bereitschaftsdienst. Und in dem Raum mit der ehemaligen Lieferantenschleuse, der heutigen Werkstatt, hängt weiterhin der alte Mögeldorfer Kupferstich, der schon die Apotheke schmückte. „Die alte Apothekerwaage im Büro ist ein Geschenk von Frau Witte“, freut sich Kirchhof.

Nur noch das über dem Eingangsportal in Sandstein gemeißelte Firmenlogo mit der Jahreszahl „1916“ erinnert an die Apotheke.

Nur noch das über dem Eingangsportal in Sandstein gemeißelte Firmenlogo mit der Jahreszahl „1916“ erinnert an die Apotheke. © Stefan Hippel

Sabine Witte ist seit 1995 Inhaberin der Strauss-Apotheke und Kirchhofs Vormieterin. Sie hat nach 18 Jahren den stillen und abseits gelegenen Standort Kinkelstraße zugunsten der stark frequentierten Ostendstraße aufgegeben und dort die ehemalige IrisApotheke übernommen und in Strauss-Apotheke umbenannt. Somit kann die 141-jährige Geschichte der ersten Mögeldorfer Apotheke fortgeschrieben werden.

Mit dem „Gangwerk“ ist das Haus Kinkelstraße 2 weiterhin ganz auf Gesundheit eingestellt. „Die Spezialisierung auf orthopädische Maßschuhe ist die Entscheidung für die Königsdisziplin der Schuhmacherei“, sagt Kirchhof. So ein Schuhwerk sei nicht nur etwas für kranke Füße. Und es müsse auch nicht klobig aussehen. Es könne auch ein schickes Design haben. Gefertigt wird es aus hochwertigem in Deutschland hergestelltem Leder. Dank seiner hervorragenden Haltbarkeit wirke es der Wegwerfmentalität entgegen.

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