Dieser Nürnberger will weder Mann noch Frau sein

14.10.2018, 06:00 Uhr
Dieser Nürnberger will weder Mann noch Frau sein

© Giulia Iannicelli

Seine mit Schreibmaschine getippte Geburtsurkunde stellt klipp und klar fest, dem Ehepaar Schmidt sei 1975 "ein Knabe" geboren wurde. Diesen Eintrag, das ist der Plan, will Norman Schmidt nun ändern lassen.

Anatomisch sei er ein Mann, sagt Schmidt. Seine Umgebung betrachte ihn auch als solchen. Doch er selbst fühle sich "im Wesentlichen geschlechtslos", sagt der studierte Chemiker. Schon seit vielen Jahren fühle es sich falsch an, auf die Kategorie "männlich" festgelegt zu sein, sagt er. Dass bei ihm "etwas anders ist als bei den anderen Jungen", habe er schon mit 13 festgestellt. Es folgten Jahre des sozialen Rückzugs ("Ich wurde ausgegrenzt"), der Orientierungsversuche, der gescheiterten Beziehungen. Keine leichte Zeit.

Anhand von Sexualkundebüchern aus der Nürnberger Stadtbibliothek habe er als junger Mann notdürftig versucht, etwas Klarheit zu gewinnen. Allenfalls in Nebensätzen seien Menschen wie er dort vorgekommen. Norman Schmidt: "Ich bin dann lange in die Welt der Online-Spiele abgetaucht." Als das Internet aufkam, sei ihm zumindest klargeworden, dass er mit seinem Problem nicht alleine war. Eine Erlösung sei das gewesen, erinnert er sich.

"Eine einmalige Chance" 

Bald könnte er ganz offiziell zum Bürger mit dem Geschlechtseintrag "divers" oder "anders" werden. Betroffenen wie ihm hat das Bundesverfassungsgericht nämlich im Oktober 2017 den Weg zu einer dritten Option jenseits von Mann und Frau geebnet. Dass niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt werden darf, steht schließlich im Artikel 3 des Grundgesetzes. Bis 31. Dezember diesen Jahres muss nun nach der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde einer Klägerin das Personenstandsgesetz geändert werden.

Dieses Urteil sei "eine einmalige Chance", urteilt Schmidt, der mit seinem Outing anderen Mut machen möchte. Um dem Anliegen Öffentlichkeit zu verschaffen, hat der 43-Jährige schon jetzt beim Nürnberger Standesamt beantragt, dass er im Register künftig als "agender" oder "divers" geführt wird, als geschlechtlich nicht festgelegt. Seinem Vornamen Norman will er eine weibliche "Anja" hinzufügen.

Muss Mann-Frau-Schema erweitert werden?

Für Alexander Sixt vom Standesamt ist es der erste Antrag dieser Art, den er entgegennimmt. Man sei aber darauf vorbereitet gewesen, heißt es. Schließlich fand Norman Schmidts Besuch im Rathaus im Rahmen einer bundesweiten Aktionswoche statt. In vielen deutschen Städten sprachen betroffene Menschen bei ihren Standesämtern vor. Das Motto: "Geschlecht ist vielfältig und muss selbstbestimmt sein."

Davon geht man auch in der Nürnberger Stadtverwaltung aus. "Guten Tag, Sabine Meier" oder "Guten Tag, Peter Müller", das könnte künftig die Anrede auf Schreiben der Stadt Nürnberg sein. Laut Christine Burmann von der kommunalen Koordinierungsstelle für Lesben, Schwule, Transidente, Bi- und Intersexuelle soll es bis Ende des Jahres ein funktionierendes Konzept für eine dritte Option geben. Das alte Mann/Frau-Schema müsse dringend erweitert werden. "Wir wollen das", betont Burmann.

"Wir wollen niemanden ausschließen"

Der Gesetzgeber habe sich nach dem Urteil des Verfassungsgerichts leider viel Zeit gelassen, bedauert Alexander Sixt im Standesamt. Deshalb werde es jetzt mit Blick aufs Jahresende hektisch. Norman Schmidts Antrag nehme er gerne an. Entscheiden könne er darüber noch nicht. Erst müsse das reformierte Gesetz her, damit das Standesamt reagieren und, wie erhofft, Geschlecht und Vornamen ändern könne.

Auch das Kino Casablanca in der Nürnberger Südstadt signalisiert seit kurzem, dass die Botschaft angekommen ist. "Genderneutrale Toilette" verkündet ein Schild an einer Klotüre der Kinokneipe. Das sei ein symbolischer Akt, sagt Theaterleiter Matthias Damm auf Anfrage: "Das ist Normalität. Wir wollen niemanden ausschließen."

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