Drogerie-Verkäuferin darf Kopftuch tragen

27.4.2018, 19:15 Uhr
Drogerie-Verkäuferin darf Kopftuch tragen

© Foto: Jörg Carstensen/dpa

Zum Gerichtstermin beim LAG in der Roonstraße erscheint Esra G. (Name geändert) mit einem dunkelblauen Tuch, das ihr Haar komplett verdeckt. Mit 18 Jahren begann die türkischstämmige Frau bei einer Drogeriemarktkette im Raum Nürnberg – damals noch ohne Kopftuch. In der Parfümerie-Abteilung, in der die junge Frau als Verkäuferin eingesetzt war, gab es nie Probleme. Das wurde bei mehreren Terminen vor dem Arbeitsgericht, die dieser Berufungsverhandlung vorausgingen, deutlich.

Nach einigen Jahren heiratete Esra G., sie wurde schwanger und bekam zwei Kinder. Als sie im Oktober 2014 nach der Elternzeit an ihren Arbeitsplatz zurückkehrte, trug die gläubige Muslimin Kopftuch. Sie sehe es als ihre religiöse Pflicht an, ihren Kopf zu bedecken. Sie wolle sich, wie es der Koran vorschreibe, vor den Blicken der Männer schützen, erklärte die 33-Jährige vor dem LAG.

Die Filialleiterin des Drogeriemarktes hatte 2014 kein Verständnis. Sie schickte Esra G. sofort wieder nach Hause: Das Textil sei nicht mit der Betriebsordnung vereinbar – Kopfbedeckungen und legere Freizeitkleidung waren demnach verboten.

Esra G. wehrte sich: Das Kopftuch schmälere ihre Arbeitsleistung nicht, sie wolle unbedingt weiter im Verkauf tätig sein, sagte sie 2014 — und auch heute noch. Ein Güterichterverfahren scheiterte, es konnte keine Lösung gefunden werden, die beide Seiten zufriedenstellte. Auch ein langer Prozess vor dem Arbeitsgericht führt am Ende nicht zu einer Einigung. Dabei hatten sich beide Seiten im Jahr 2015 zunächst auf einen Kompromiss geeinigt: Esra G. sollte Inventuraufgaben im Verkaufsraum übernehmen, Kundinnen zu beraten oder zu kassieren wurde ihr indes untersagt.

Die junge Mutter erbat sich einen Probemonat und war ernüchtert: Seiner Mandantin fehle der Kundenkontakt, sie fühle sich wie eine Praktikantin, sagte ihr Anwalt Georg Sendelbeck (Kanzlei Manske & Partner) bereits 2016 bei einem weiteren Gerichtstermin. Einen Vergleichsvorschlag – die Auflösung des langjährigen Arbeitsverhältnisses gegen eine vergleichsweise bescheidene Abfindung von 15 000 Euro – lehnte die Firma ab: Das Arbeitsgericht entschied schließlich im März 2017, dass die junge Frau weiterzubeschäftigen sei.

Gegen das Urteil legte der Drogeriemarkt Rechtsmittel ein. Nun wurde der Fall in zweiter Instanz vor der 7. Kammer des LAG Nürnberg aufgerollt.

Nach wie vor halten Esra G. und ihr Anwalt das Kopftuchverbot und damit auch die Kündigung für nicht rechtmäßig. Mit einem solchen Pauschalverbot halte man muslimische Frauen vom Arbeitsmarkt fern, das wirke Integrationsbemühungen entgegen, gab der Arbeitsrechtler zu bedenken.

Die Vertreter des Drogeriemarktes verwiesen dagegen auf eine verschärfte Betriebsordnung, die den Mitarbeitern das Tragen sämtlicher weltanschaulicher Symbole untersagt. Gerade ein Kopftuch sei polarisierend, man wolle die Kunden nicht in ihren religiösen Gefühlen verletzen. Mit Blick auf die Gewerbeordnung und Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) sagt der Justiziar des Unternehmens: "Die unternehmerische Freiheit ist zu wahren." Der EuGH habe seiner Meinung nach entschieden, dass alleine der Wille des Arbeitgebers ausreiche, um ein Verbot zu erwirken.

Er bezieht sich dabei auf zwei Urteile (Rechtssachen C-157/15 und C-188/15): eine betraf eine französische Programmiererin und die andere eine belgische Rezeptionsdame. Die Luxemburger Richter entschieden, dass in diesen Fällen ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz keine Diskriminierung darstellt. Allerdings darf das keine willkürliche Anordnung sein. Entscheidend ist laut EuGH, dass weltanschauliche Zeichen im Unternehmen generell verboten sind und es dafür auch gute Gründe gibt. Kein Anlass für ein Kopftuchverbot besteht etwa, wenn ein Kunde sich über das Textil beschwert.

Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich in der Vergangenheit mit Kopftüchern am Arbeitsplatz, vor allem im öffentlichen Dienst, beschäftigt: 2003 erlaubten die Richter aus Karlsruhe noch präventive Kopftuchverbote an Schulen. 2015, also zwölf Jahre später, revidierten sie ihre alte Entscheidung: Muslimische Lehrerinnen dürfen demnach Kopftücher tragen. Ein Verbot ist nur gerechtfertigt, wenn durch das Tragen des Kopftuchs eine "hinreichend konkrete Gefahr" für den Schulfrieden ausgeht, eine abstrakte Gefahr reiche nicht aus, so die Richter in den roten Roben. Generell sagt das BVerfG, dass es bei Konflikten immer eine Einzelfallentscheidung geben muss, bei der die widerstreitenden Interessen gegeneinander abgewogen werden.

Diese widerstreitenden Interessen wog nun auch die 7. Kammer des LAG gegeneinander ab: Die unternehmerische Freiheit auf der einen Seite und die verfassungsmäßig garantierte Glaubensfreiheit (Art. 4 Grundgesetz) auf der anderen Seite. Aus Sicht der Richter hat die Glaubensfreiheit in diesem Falle Vorrang. Die von der Arbeitgeberseite zitierten EuGH-Urteile hätten sich weiterhin mit der Frage von Diskriminierung beschäftigt. In diesem Fall ging es aber um etwas ganz anderes, nämlich die Weiterbeschäftigung von Esra G.

Die Vorsitzende Richterin, Eike Weißenfels, ließ ausdrücklich eine Revision zu – normalerweise ist am LAG der Rechtsweg zu Ende. Das heißt, der unterlegene Drogeriemarkt kann nun noch vor das BAG ziehen und den Fall abschließend beurteilen lassen. Das scheint wahrscheinlich, denn kurz vor dem Urteil schlugen die Vertreter noch einen Vergleichsvorschlag aus: Demnach hätte die Drogerie der 33-Jährigen 21 000 Euro Abfindung gezahlt und sie wäre nach ihrer Elternzeit im Gegenzug nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt.

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