Ein kleines Jazz-Juwel

5.6.2017, 13:50 Uhr
Ein kleines Jazz-Juwel

© Foto: Ludwig Olah

Jeder Künstler kennt das: Die Muse küsst einen meist gerade dann, wenn man überhaupt nicht damit rechnet. Im Fall von Rebecca Trescher war es ein beklemmender Dokumentarfilm, der die Inspiration zur wunderschönen Suite "Floating Food" lieferte. "We feed the world" von Erich Wagenhofer setzt sich kritisch mit massenhafter Nahrungsmittelproduktion auseinander.

Das beklemmende Gefühl, das die teils schockierenden Bilder bei der Nürnberger Klarinettistin hinterließen, kanalisierte sie beim Komponieren – was sonst sollte eine Musikerin auch tun? Wer nun aber erwartet, man würde bei "Floating Food" die musikalische Abstraktion von am Fließband geköpften Hühnern oder das Wellenplätschern von Milchseen hören, liegt völlig falsch.

"Auch wenn mancher Teil der Suite zugegebenermaßen vielleicht noch aus einer Nachdenklichkeit heraus erwuchs", schreibt Trescher im Booklet der CD, "hatte ich von Anfang an kein politisches oder kritisch programmatisches Werk vor Augen, sondern schlicht absolute Musik, die trotz ihres möglichst vielfältigen Facettenreichtums im großen Ganzen ein Gefühl vom Freude hinterlässt."

Das ist voll und ganz gelungen. Lässt man das Wort "Food" im Titel weg, dann hat man mit "Floating" schon viel vom Grundcharakter dieser Komposition erfasst, die ihr bewährtes Ensemble 11, das zum großen Teil aus Studierenden der Nürnberger Hochschule für Musik besteht, mit eloquenter Eleganz umsetzt. Alles fließt: Über einem dezenten, subtilen Fünf-Viertel-Rhythmus (Silvio Morger, Drums / Max Leiß, Bass) breiten Flöte (Hironaur Saito), Klarinette (Trescher), Tenor- und Altsaxophon (Konstantin Herleinsberger und Markus Harm), Cello (Florian Bischof), Stimme (Agnes Lepp), Vibraphon (Volker Heuken), Harfe (Anton Mangold) und Klavier (Andreas Feith) weitläufige, polyrhythmische Themen aus, wobei sich notierte und improvisierte Passagen so geschickt verzahnen, dass der Eindruck eines einzigen organischen Klangkörpers entsteht.

Einzelne Instrumente treten hervor, andere fallen zurück, dringliche Passagen münden in lyrische Meditationen, jeder Moment wirkt wie aus dem Augenblick geboren. Dabei gibt es zwischen den vier "Movements", einer "Interlude", einem Solo für Harfe und einer "Prelude" keine Brüche, vielmehr stehen alle als Teile einer großen, umfassenden musikalischen Idee. Auch die angehängten älteren Stücke "Der frühe Vogel" und "Malachit" passen bestens in dieses Bild. Musik von bezaubernder Leichtigkeit, beeindruckender Kunstfertigkeit und emotionaler Tiefe, der das seltene Kunststück gelingt, harmonische Schönheit fernab abgegriffener Klischees zu erschaffen. Ein modernes Jazz-Juwel, keine Frage.

CD-Tipp: Rebecca Trescher Ensemble 11, "Floating Food" (Enja)

Verwandte Themen


Keine Kommentare