Ein Spiegel fürs Alte

5.11.2010, 11:00 Uhr
Ein Spiegel fürs Alte

© Michael Matejka

Styx heißt in der griechischen Mythologie jener Fluss, der das Totenreich von dem der Lebenden trennt. Ein tiefschwarzes Gewässer liegt auch neben dem lang hingestreckten Neubau, gefasst in einem scharfkantigen Betonbecken.

Der Trauer Raum geben, aber den Übergang in eine andere Welt mit viel Licht markieren, das wollte Architekt Günther Dechant mit seinem Entwurf erreichen. Entstanden ist zum Glück kein mit spiritueller Symbolik überladener Bau, sondern ein durch und durch raffinierter Ort des Abschieds, ein Haus aus Glas und Beton, das Wärme ausstrahlt.

Empfindliches Thema

Der Umgang mit dem Sterben ist ein empfindliches Thema, so beanspruchte die Planung mehr als doppelt so viel Zeit wie die Bauarbeiten. Hatte der Architekt die Halle seitlich gegenüber dem neoklassizistischen Altbau platzieren wollen, forderte das Stadtplanungsamt Symmetrie ein und einen Standort in der Mitte. Erst der Baukunstbeirat rückte das Projekt nach hitziger Debatte wieder an seinen ursprünglich vorgesehenen und richtigen Ort.

Ein Spiegel fürs Alte

So konnte zwischen Alt- und Neubau ein 700 Quadratmeter großer, luftiger Platz entstehen, der genug Abstand und Raum lässt und für den Durchgangsverkehr gesperrt bleibt. Bis zu 160 Privatfirmen sind auf Nürnbergs großem Friedhof im Westen unterwegs, störende Kollisionen mit den wechselnden Trauergemeinden soll es hier künftig nicht mehr geben.

In den riesigen Glasflächen des Eingangsbereichs spiegelt sich die bereits sanierte Sandsteinfront aus dem 19. Jahrhundert.

An zwei Seiten ist schützender Beton über den Zugang gezogen. Neugierige Blicke hält die blickdichte Sonnenschutzverglasung ab, auch wenn von innen alles ganz und gar durchsichtig wirkt. Außen ist die Halle mit sogenanntem Besenstrichputz verkleidet, sein helles Beige und die feine Struktur nimmt dem ins abfallende Gelände geschmiegten Kubus jede Kälte.

Neben dem flachen Wasserbecken ist Rasen gesät, zu Füßen eines neuen Glockenturms aus Beton gibt es einige wenige Sitzgelegenheiten. 200 Sitzplätze auf Eichenbänken warten drinnen, die oft quälende Enge im Altbau ist Vergangenheit.

Die Innenwände des ausschließlich für Erdbestattungen reservierten Baus sind aus grauem Sichtbeton, in dem die Schalbretter eine lebhafte horizontale Struktur hinterlassen haben. Er habe dabei an Erdschichten gedacht, sagt Günther Dechant.

Gleißend hell

Fast gleißend hell ist der Platz vorne, wo Sarg und Trauerredner stehen werden. Ein Fensterband in der Decke lässt Tageslicht ein.

Darüber wirft ein Beamer den gewünschten Text, das Kreuz oder ein Foto des Verstorbenen an die Wand. Er habe es immer gehasst, auf Wunsch das Kreuz zuhängen zu müssen, sagt Günther Gebhardt, der Chef der kommunalen Friedhofsverwaltung. Jetzt bietet die Technik elegantere Lösungen.

Auch im denkmalgeschützten Altbau sind längst die Handwerker eingezogen, auch hier werden Dechants Entwürfe umgesetzt. Im westlichen Teil wird ein Glaskubus eingebaut, ein Haus im Haus, das zwei intime Abschiedsräume für Angehörige bieten wird.

Tote können hier auch aufgebahrt werden; vor allem Familien aus dem Osten seien es gewohnt, so von ihren Verstorbenen Abschied zu nehmen. Die Nachfrage ist groß.

In den Räumen, die nahe beim Haupteingang liegen, werden die Sargvorbereitung und Kondolenzräume ihren Platz finden. Die scheußlichen Einbauten aus den 50er Jahren, die die großen Torbögen verunstalten, sollen verschwinden. In der Mitte entsteht eine kleine Kapelle für 40 Personen. Das Dach des Altbaus ist PVC mit belastet und von unzähligen Mardern verpestet. Es wird komplett erneuert, seine beiden Glocken sind in den neuen Turm installiert worden.

2,5 Millionen Euro soll die Sanierung kosten. Für die nächsten 138 Jahre, freut sich Günther Gebhardt, habe man jetzt ausgesorgt.

Kein Wettbewerb

Dass sich die Stadt für ihre Trauerhalle keinen Architektenwettbewerb leisten wollte, hatten die Baukunstbeiräte beklagt. Doch das Ergebnis kann in diesem Fall trotzdem den Anspruch erheben, eine gelungene Lösung zu sein.

Am 12. Dezember wird die Halle zum ersten und sicher nicht zum letzten Mal für eine öffentliche Veranstaltung genutzt.

Eine „besinnliche Stunde mit Musik und Texten“ für Menschen, die einen Verlust erlitten haben, findet um 15 Uhr hier statt.