Eine Ausfahrt mit Gänsehaut

31.7.2016, 20:02 Uhr
Eine Ausfahrt mit Gänsehaut

© Foto: Eduard Weigert

Ohne Sprechblasen-Rhetorik wird man dieser Sache nicht Herr. „Rrroooarrr“ macht die rote Flunder beim Start, nachdem Alexander Heckel die Abgasklappen hinten mit der Fernbedienung lässig auf laut gestellt hat. Noch ein aufrüttelndes „Rrroooarrr“, die erste und bei weitem nicht die letzte Gänsehaut kriecht die Arme hoch, dann steuert der Fahrer sein 400-PS-Baby in die lange Reihe der über 100 Flitzer, die jetzt im Ofenwerk zur wohltätigen Ausfahrt gen Norden aufbricht.

Zwei Touren über Land haben die Organisatoren des Vereins Sportwagencharity geplant. 25 Euro kostet der Trip, 109 kranke und behinderte Kinder des Bildungszentrums für Blinde und Sehbehinderte, der Lebenshilfe und der Cnopf’schen Kinderklinik, die Empfänger der karitativen Aktion sind, fahren gratis mit. Ihre strahlenden Gesichter und roten Backen sprechen beim Aussteigen eine klare Sprache: Es war der Hammer!

Eine Ausfahrt mit Gänsehaut

© Foto: Stauber

Zickige „Diva“

Schon als Kind hätten ihn seine Eltern im Italienurlaub kaum mehr weggebracht, wenn irgendwo ein Ferrari herumstand. Doch plötzlich war Alexander Heckel 47 Jahre alt, arbeitete im Software-Vertrieb und träumte immer noch denselben Ferrari-Traum. Jetzt allerdings konnte er ihn sich erfüllen. Vor fünf Jahren hat er 50 000 Euro für seine „Diva“ hingelegt und bei der ersten Fahrt butterweiche Knie bekommen.

Der Kosename trifft’s. Manchmal sei der Ferrari nämlich ziemlich zickig. „Italienische Ingenieurskunst eben“, lacht er und erzählt, dass alle drei Jahre der gesamte Motor ausgebaut werden muss, nur um den Zahnriemen zu wechseln. Wer Ferrari fahren will, muss manchmal leiden.

Man sieht es ihm nicht an, aber 20 Jahre hat der knallrote Sportwagen schon auf dem Buckel. Heckel schaltet ein wenig ruppig in den dritten Gang, der Mittelmotor macht Musik, und sagt: „Sie ist so alt, dass sie keinen Neid erzeugt.“ Mit einem neuen Lamborghini habe man es da sehr viel schwerer.

Das auf Hochglanz polierte Cabriolet biegt endlich röhrend in die Äußere Bayreuther Straße ein. Man wird sanft ins schwarze Leder gedrückt, die Haare flattern und man steigt mit aufs imaginäre Gaspedal. Mehr, schneller, die ersten Anzeichen von Geschwindigkeitsrausch werden erkennbar. Doch der Chauffeur ist alles andere als ein postpubertärer Angeber, schnell brotzelt die deutsche Fuchs-Auspuffanlage im Fond wieder entspannt im Leerlauf vor sich hin.

Eine Ausfahrt mit Gänsehaut

© Foto: Eduard Weigert

Irgendwo zwischen Tauchersreuth und Nuschelberg, zwischen gelben Getreidefeldern und waldigem Wegesrand, muss die Gretchenfrage nach dem Spritverbrauch kommen. Alexander Heckel redet nicht lange drumherum: Zwischen 14 und 20 Litern schluckt der Wagen, der sich jetzt auf einem geraden Stück flach auf die Straße presst. „Ökononisch und ökologisch ist das nicht besonders sinnvoll.“ Doch wenn man sein hochkarätiges Spielzeug für einen guten Zweck einsetzen könne, sei das eine tolle Sache. Wobei sich der 52-Jährige keineswegs nur hinterm Lenkrad engagiert. Ein Dreivierteljahr Knochenarbeit liegt hinter dem Vereinsvorstand von Sportwagencharity, so Heckel, der den Event mit organisiert und zahlreiche freigiebige Sponsoren gewonnen hat.

Im Rückspiegel und ganz weit vorne fahren Jaguar, Camaro und Konsorten. Alles reinrassige Sportwagen, das betont Heckel. Aufgemotzte und getunte Autos dürfen nicht mitfahren; wer so etwas nötig habe, passe nicht in den Club. Sein kritischer Blick geht hoch zum bewölkten Himmel, Regen wäre jetzt wirklich blöd. Auch weil der Ferrari — italienische Ingenieurskunst eben — nicht ganz wasserdicht ist. Die Stellen zwischen Verdeck und Blech, an denen die Nässe mit Tempotaschentüchern gestoppt werden muss, findet der Fahrer blind.

Ein Audi-Fahrer, der entgegenkommt, blickt begeistert auf. In Günthersbühl winken die Menschen und fotografieren die Invasion der Edelflitzer. Apropos Audi, im Alltag fährt der Ferrari-Liebhaber genau den. Sein Spielzeug bringt es auf nicht mehr als 3000 Kilometer im Jahr. Es sei „mehr was zum Cruisen“, aber bitte ohne Schlaglöcher. Mehr Bodenfreiheit als eine Zigarettenschachtel hat die „Diva“ nämlich nicht.

Heckel zeigt’s mit Daumen und Zeigefinger und erzählt wieder vom Ferrari-Land. In Italien sind die „Diva“ und er die Könige der Landstraße. Und alle rufen „bella macchina!“

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