Ende der Preisbindung gefährdet Nürnberger Apotheken

21.10.2016, 06:00 Uhr
Ende der Preisbindung gefährdet Nürnberger Apotheken

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NZ: Frau Schlenk, der Vorsitzende Ihres Bundesverbands hat sich als "entsetzt" über das Urteil geäußert. Es stellt die deutsche Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente infrage. Sind Sie auch entsetzt?

Margit Schlenk: Ja, mehr als das. Dieses EuGH-Urteil ist ein systemzerstörender Akt. Es wird die inhabergeführte Vor-Ort-Apotheke peu à peu verdrängen. Man schätzt, dass dann bis zu 50 Prozent der Apotheken aufgeben müssen.

NZ: Das müssen Sie erklären.

Schlenk: Die Arzneimittelpreisverordnung wurde dafür gemacht, dass jeder Patient in jeder Apotheke das Gleiche bezahlt. Und sie honoriert den Apotheker unabhängig vom Preis eines Arzneimittels für seine Beratungsleistung. Sprich: In den 8,10 Euro, die wir für ein Medikament bekommen – davon gehen 1,77 Euro an die Krankenkassen – steckt auch der Notdienst, die Herstellung von Rezepturen, der Service vor Ort. Jetzt wird ausländischen Versendern erlaubt, Rabatte zu geben. Ein DocMorris bezahlt in Deutschland keine Mehrwertsteuer, er braucht nur Personal für die Logistik, hat keine teuren Mietlagen. Da wird mit zweierlei Maß gemessen. Und die erste deutsche Versandapotheke hat schon auf Gleichbehandlung geklagt.

Ende der Preisbindung gefährdet Nürnberger Apotheken

NZ: So funktioniert leider der EU-Binnenmarkt.

Schlenk: Etwas billiger zu machen, um den Umsatz zu steigern, kann bei einem elektronischen Gerät funktionieren. Aber ein Medikament ist eine Ware besonderer Art. Ein Patient hat halt nicht mehr Kopfschmerzen und Fieber, weil ein Medikament günstiger wird.

NZ: Was ändert sich konkret nach dem EuGH-Urteil für den Kunden?

Schlenk: Im Moment noch gar nichts. Es ist in Deutschland immer noch verboten, auf verschreibungspflichtige Arzneimittel Rabatt zu geben.

NZ: Es ist auch noch nicht abgemacht, dass die 8,10 Euro fallen. Woher dann Ihr Schreckensszenario?

Schlenk: Es gibt in Deutschland große Kapitalgesellschaften, die das etablierte System der Einzelapotheke aushebeln möchten. Sie wollen Ketten im Fremdbesitz wie in Großbritannien.

NZ: Es gibt aber auch noch die Macht des Kunden. Viele werden beim Online-Kauf nicht glücklich, sondern suchen Beratung vor der Haustür.

Schlenk: Ich gebe Ihnen recht – solange der Patient die freie Wahl hat. Wenn es aber keine festen Preise mehr gibt, wird nicht nur der Patient, sondern auch die Krankenkasse mit Bonifizierungen gelockt. Dann kann es sein, dass der Patient von Boxdorf nach Mögeldorf fahren muss, weil die Apotheke dort einen Selektivvertrag mit seiner Krankenkasse geschlossen hat. Das haben wir heute schon mit den Rabattvertragsarzneimitteln, von denen viele nicht immer lieferbar sind. Die Versorgung der Patienten steht auf dem Spiel. Das Überleben der Apotheke wird durch die Anzahl der verschreibungspflichtigen Arzneien bestimmt. Wenn ein Apotheker in diesen Preiskampf einsteigt, kann er sofort überlegen, welches Personal er entlässt.

NZ: Wie ist die Wirtschaftslage unter Nürnbergs Apothekern?

Schlenk: 30 Prozent der Apotheken schreiben rote Zahlen, das wird in Nürnberg nicht anders sein. Viele kleine haben schon geschlossen.

NZ: Was schlagen Sie vor?

Schlenk: Raschestmögliches Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneien in Deutschland. Das ist die einzige Rettung.

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