Erster Weltkrieg: Wie Nürnberg zum Feldlebkuchen kam

2.9.2014, 09:45 Uhr
Erster Weltkrieg: Wie Nürnberg zum Feldlebkuchen kam

© dpa

Der Kriegsbeginn war für die Nürnberger Industrie ein Schock. Das Militär zog innerhalb weniger Tage etwa ein Drittel aller Arbeiter ein, die Aufträge brachen weg, und die Rohstoffversorgung kam zum Erliegen. Dennoch meisterten die Franken die Krise erstaunlich rasch. Sie stellten ihre Produktion nahezu reibungslos auf kriegswichtige Güter um – und wurden damit zu einem der größten Zentren der Rüstungsindustrie in Deutschland.

„Nürnberg war seit Beginn der Industrialisierung zur bedeutendsten Industriestadt Süddeutschlands aufgestiegen“, schildert Steven Zahlaus vom Stadtarchiv die Ausgangssituation. Neben dem Maschinenbau gab es eine vielfältige Metall- und Elektroindustrie mit zahlreichen kleinen Betriebe. Sie vertrieben ihre Produkte ebenso wie die großen Konzerne MAN und Siemens-Schuckert erfolgreich ins In- und Ausland.

Den hohen Exportanteil bekamen die Unternehmen schmerzhaft zu spüren, als die ausländischen Abnehmer ihre Aufträge nach Kriegseintritt sofort stornierten. Auch inländische Kunden und selbst der Staat zogen ihre Bestellungen wegen der herrschenden Unsicherheit zurück. „Das war erstmal ein Schock, die Arbeitszeiten wurden verkürzt, und viele wurden entlassen“, berichtet Zahlaus.

Dynamos, Motoren und Fernsprechkabel

Die Lähmung hielt aber nicht lange an. „Man hat dann komplett auf die Karte Rüstung und Heeresbedarf gesetzt.“ Nach einem halben Jahr war den meisten Betrieben die Umstellung geglückt. Der Vorteil für die Nürnberger: Viele ihrer Produkte konnten sowohl in Friedenszeiten als auch zu militärischen Zwecken genutzt werden. So wurden Dynamos, Motoren und Fernsprechkabel auch an der Front gebraucht. Nach einer kurzen Umstellphase lieferten die Franken zudem Zünder und Geschützwagen, auch Heereslastwagen und Flugzeuge kamen aus Nürnberg.

Selbst weniger naheliegende Industriezweige florierten: So profitierten Faber und Staedler von der hohen Nachfrage nach Bleistiften zum Schreiben der Feldpostbriefe. Doch mit zunehmender Dauer des Krieges gab es für die Unternehmen zwei große Probleme: Die Versorgung mit Rohstoffen – und die Verfügbarkeit von Arbeitskräften. Ersteres löste die Politik mit großen Sammelaktionen: Die Bevölkerung musste Haushaltsgegenstände aus Metall abgeben, als „echter Patriot“ spendete man selbst seinen Ehering. Auch Kirchenglocken wurden eingeschmolzen. „Die haben Blitzableiter, Dachrinnen, einfach alles von den Dächern abgeschraubt“, schildert Ulrike Sowoboda vom Stadtarchiv Nürnberg.

Frauen in Männerjobs

„Irgendwie hat man es geschafft, den Markt bedienen zu können.“ Den Mangel an Fachkräften versuchten die Unternehmen durch das Anlernen von Frauen und den Einsatz von Kriegsgefangenen zu mildern. In der zweiten Kriegshälfte arbeiteten immer mehr weibliche Beschäftigte in bisherigen Männerjobs: Als Briefträgerinnen, Schalterbeamtinnen, Straßenbahnfahrerinnen, Bahnwärterinnen, Dreherinnen, Schweißerinnen oder Schlosserinnen. „Sie standen an Maschinen und Hochöfen und hantierten mit Sprengköpfen oder Kreissägen“, heißt es in Ausstellung, mit der das Stadtarchiv derzeit die Geschichte Nürnbergs im Ersten Weltkrieg beleuchtet.

Besonders viele Frauen arbeiteten in einer der acht Nürnberger Munitionsfabriken – obwohl der Job kräftezehrend, gesundheitsschädigend und gefährlich war. „Die Frauen haben alles gemacht, um Geld zu bekommen“, erzählt Swoboda. Denn der Bevölkerung mangelte es an Essen, an Kleidung, an Kohle zum Heizen, und oft genug mussten die Frauen ihre Kinder alleine durchbringen, während die Männer an der Front um ihr Leben kämpften.

Den Unternehmen und damit auch den Aktionären hingegen ging es meist gut: „Die Gewinne sind gestiegen, und die Dividendenausschüttungen haben sich vergrößert“, referiert Zahlaus. 1918 verdienten rund 300 Nürnberger Unternehmen mit gut 60.000 Mitarbeitern am Geschäft mit der Rüstung. Nur einige wenige hatten den Umstieg nicht geschafft. So mussten die Lebkuchenfirmen Heinrich Haberlein und F.G. Metzger die Produktion zum Teil stilllegen. Ein Konkurrent hingegen war pfiffiger: Er stellte erfolgreich „Feldlebkuchen“ in der halben Größe her und begann mit der Produktion von Zwieback.

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