Es gibt ein Leben ohne soziales Netzwerk

19.2.2012, 00:00 Uhr
Es gibt ein Leben ohne soziales Netzwerk

© Ralf Rödel

Herr Hirsch, etwas unterscheidet Sie von fast allen Menschen Ihrer Altersgruppe: Sie sind nicht bei Facebook. Gibt es für junge Leute ein Leben auch ohne soziales Netzwerk?

Claus Hirsch: Gibt es, und es ist ziemlich entspannt. Ein Handy habe ich ja immerhin, wie alle anderen auch. Wichtiges kriege ich also mit. Auch wenn ich erst zig Leute mehrfach abtelefonieren muss, wenn ich abends ein Bier trinken gehen möchte.

Woher diese Abstinenz?

Hirsch: Ich fand das damals ziemlich seltsam, als plötzlich ganze Heerscharen von Leuten plötzlich vom Netzwerk SchülerVZ zu Facebook übergelaufen sind. Man meldet sich dort an und hat plötzlich Freunde? Das ist irgendwie seltsam.

Haben Sie denn Freunde, ganz ohne ein Internet-Netzwerk?

Hirsch: Natürlich habe ich Freunde. Ansonsten rede ich mir einfach ein, dass ich Facebook nicht brauche. Ich telefoniere und chatte im Internet über Skype. Das reicht mir.

Aber steht nicht auf der Facebook-Startseite der Spruch: „Facebook ermöglicht es dir, mit den Menschen in deinem Leben in Verbindung zu treten und Inhalte mit diesen zu teilen.“ Wie teilen Sie, um im Jargon zu bleiben, ihre Inhalte mit anderen?

Hirsch: Jetzt mal ganz ehrlich: Manchmal nutze ich das Netzwerk durchaus, dann logge ich mich mit einem Freund zusammen über seinen Account ein und schau’ nach, was so läuft. Aber das passiert vielleicht einmal im Monat.

Ein beinharter Facebook-Verweigerer sind Sie also nicht?

Hirsch: Ich bin schon konsumkritisch und ich will dieses System nicht unterstützen, das mit unseren Daten einen Haufen Geld verdient. 668 Millionen US-Dollar hat Mark Zuckerberg 2011 Gewinn gemacht! Ich habe viel in der Zeitung gelesen über das Datenschutzproblem und drüber nachgedacht. Das tun andere ja auch.

Schwimmen die auch gegen den Strom, so wie Sie das tun?

Hirsch: Na ja. Wenn sich wirklich mal einer abmeldet von Facebook, dann bleibt er sicherheitshalber mit einem Fuß drin und könnte seine Seite jederzeit wieder reaktivieren. Ganz rauszugehen ist wohl ziemlich kompliziert. Die meisten bleiben also dabei.

Waren Sie immer schon einer, der gegen den Strom schwimmt?

Hirsch: Wenn Sie so wollen. Das ging früh los: Ich habe bis zu meinem 14. Lebensjahr sommers wie winters Kniebundlederhosen getragen.

Ein Alptraum für jeden 14-Jährigen, oder nicht?

Hirsch: Aber ich wollte das so und habe mich deshalb nie als Außenseiter gefühlt. Es war einfach ein Alleinstellungsmerkmal, ähnlich wie das Nein zu Facebook. Irgendwann hat mich ein Freund allerdings davon überzeugt, dass normale Hosen auch ganz okay sind.

Ein adidas-Hemd tragen Sie schon. Heute zum Beispiel...

Hirsch: Ach, das hab’ ich von irgendjemandem geschenkt bekommen. Ich bin kein Markenfreund, da achte ich nicht drauf. Ich bilde mir jedenfalls ein, dass ich da drüberstehe. Irgendwie kommt da immer ein altes Argument meiner Mutter ins Spiel. Die fragt immer: Brauchst du das wirklich?

Ihnen ist der Nonkonformismus sozusagen in die Wiege gelegt worden?

Hirsch: Es war jedenfalls von Haus aus anders daheim. Meine Mutter war lange gegen das Internet, meine drei Brüder und ich haben erst seit fünf Jahren einen Anschluss, und jetzt steht ein einziger PC für alle in einer ungemütlichen Ecke.

Das gibt sicher Hauen und Stechen.

Hirsch: Gar nicht, wir Brüder sind nicht so. Außerdem hängen wir eh nicht ständig vor dem Computer herum.

Noch mal zurück zu ihrer skeptischen Mutter.

Hirsch: Auch gegen das Fernsehglotzen war sie, wir durften lange nur Pumuckl oder Tierfilme sehen. Das Internet haben wir übrigens nur mit dem Argument durchgeboxt, dass wir es unbedingt für die Schule brauchen.

Sie studieren Politik und Philosophie...

Hirsch:... bald wahrscheinlich Politik und Slawistik, da gibt es mehr Jobs. Die Internet-Adresse unserer Studenten-Fachschaft heißt ja nicht ohne Grund www.spaeter-mal-taxifahrer.de Vielleicht werde ich auch Bundespräsident, da bekommt man alles bezahlt und hat nicht so viel zu tun wie ein Bundeskanzler.

Na dann, viel Erfolg.

Hirsch: Halt, mir fällt gerade noch etwas ein, wo ich aus der Rolle falle. Ich habe keinen Führerschein, hab’s einfach nie geschafft, mich drum zu kümmern. Der Vorteil: Ich muss meine Freunde nicht von den Feiern nach Hause kutschieren.

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