"Es ist Zeit": Wissenschaftler fordert Cannabis-Freigabe

8.10.2018, 05:17 Uhr

© Matthias Balk/dpa

In Deutschland sterben jedes Jahr 120.000 Menschen an den Folgen ihres Tabak- und 40.000 Menschen an den Auswirkungen ihres Alkoholkonsums. Auf den Konsum illegaler Drogen sind 1300 Todesfälle zurückzuführen, wie der aktuelle Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung zeigt. Trotzdem sind Alkohol und Zigaretten frei im Supermarkt verkäuflich – im Gegensatz zu Cannabis.

Die Karl-Bröger-Gesellschaft hat zu Vorträgen über die Drogenpolitik in Deutschland eingeladen. "Man sollte Drogen nicht per se kriminalisieren", sagt Nasser Ahmed, SPD-Stadtrat und Vorstandsmitglied der Karl-Bröger-Gesellschaft. Weil die Drogenpolitik in Deutschland keinen rationalen Regeln folgt, müsse ein Umdenken her.

Gesetz definiert Betäubungsmittel nicht 

So würden viele Menschen annehmen, dass der Konsum von Cannabis gefährlicher sei als der von Alkohol – eben weil der Besitz verboten ist, sagt Mustafa Oglakcioglu, Rechtswissenschaftler und Dozent an der Friedrich-Alexander-Universität in Nürnberg.

Oglakcioglu macht die schwierige Rechtslage deutlich. So definiere das Gesetz nicht, was überhaupt ein Betäubungsmittel sei. Stattdessen verweist es auf ein Listensystem. Dieses führt sämtliche verbotenen oder beschränkten Substanzen auf. Weil der Markt für Drogen sich verändert, wird es immer wieder angepasst. Zum Beispiel, wenn neue Stoffe auf den Markt kommen. Ein Beispiel, das Schlagzeilen gemacht hat, waren Legal Highs. Besser bekannt als Kräutermischungen, wurde der Besitz dieser synthetischen Stoffe erst, nachdem sie einige Zeit auf dem Markt waren, unter Strafe gestellt. Hersteller verändern die Zusammensetzung auch aktuell immer wieder, um dem Konsumenten ein rechtliches Schlupfloch zu bieten.

"Zeit für einen Feldversuch"

"Die Liste ist daher nicht verlässlich", macht Oglakcioglu deutlich. Hinzu komme, dass nicht jede Droge vom Schwarzmarkt die gleiche Zusammensetzung habe und nicht jeder Konsument die gleiche Menge zu sich nehme. Um solche Unwägbarkeiten zu vermeiden, müsse der Staat entweder jedes Rauschmittel verbieten – oder eine regulierte Abgabe zulassen. Lediglich stark psychisch wie physisch abhängig machende Drogen wie Heroin, sollten seiner Meinung nach unter Verschluss gehalten werden.

"Nach 80 Jahren Prohibition ist es Zeit für einen Feldversuch", sagt Oglakcioglu und meint damit, das Drogengeschäft der Privatwirtschaft zu überlassen – oder dem Schwarzmarkt. Legal Highs seien vorübergehend so ein Feldversuch gewesen, erklärt er weiter. In Foren im Internet hätten sich Menschen über die Auswirkungen der Mischungen ausgetauscht und ihr Konsumverhalten entsprechend angepasst. Ähnlich verhält es sich mit Cannabis, der am häufigsten konsumierten illegalen Substanz in Deutschland.

Risiko bleibender Schäden

Während Fachleute wie von der Nürnberger Drogenhilfe Mudra eine regulierte Freigabe von Cannabis fordern, bleibt der Widerstand im Bundestag. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler von der CSU, sagte der Zeitung "Welt": "Ich werde nicht tatenlos dabei zuschauen, wie Jugendliche im wahrsten Sinne des Wortes ihre Zukunftsperspektiven verkiffen." Beim Konsum von Cannabis bestehe schließlich das Risiko bleibender Gehirnschäden.

Wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischen Erfahrungen zufolge eigne sich ein staatlich regulierter Markt für Cannabisprodukte besser, um die Risiken des Cannabisgebrauchs für die öffentliche Gesundheit zu verringern, schreibt hingegen die Drogenhilfe Mudra in einem Positionspapier zum gesellschaftlichen Umgang mit Cannabis.

Verharmlosen will sie die Gefahren aber nicht. "Cannabiskonsum kann zu relevanten Problemen im körperlichen, psychischen oder sozialen Bereich führen. Der Cannabisgebrauch ist vor allem für diejenigen riskant, die hochfrequent und hochdosiert kiffen." Auch das Alter der Konsumenten spiele für das individuelle Risiko eine Rolle. Durch einen regulierten und kontrollierten Cannabiskonsum könne der Schwarzmarkt aber ausgetrocknet und Kinder sowie Jugendliche besser geschützt und Abhängigen Hilfsangebote gemacht werden.

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