Essen auf Rädern: Nürnbergs Lieferdienste boomen

23.6.2018, 05:45 Uhr
Essen auf Rädern gibt es schon lange – doch die Fahrer von Lieferdiensten bringen inzwischen nicht nur Hausmannskost für jene, die aus gesundheitlichen Gründen nicht selbst kochen können. Der Kunde kann unter Sushi, Salaten, Schäufele und vielem mehr auswählen.

© Stefan Hippel Essen auf Rädern gibt es schon lange – doch die Fahrer von Lieferdiensten bringen inzwischen nicht nur Hausmannskost für jene, die aus gesundheitlichen Gründen nicht selbst kochen können. Der Kunde kann unter Sushi, Salaten, Schäufele und vielem mehr auswählen.

Dino Pizza Kurier an der Regensburger Straße ist der Oldie unter den Lieferdiensten. Seit 25 Jahren liefert das Unternehmen Pizza aus. "Doch die Konkurrenz ist riesig geworden, sie ist an jeder Ecke", erklärt Inhaber Alexandru Balota, der das Geschäft vor einem halben Jahr übernommen hat. "Das merken wir schon. Es ist viel schwieriger geworden, über die Runden zu kommen." Ein Kreis an Stammkunden ist der Pizzeria geblieben.

Die Einnahmen an manchen Tagen sind dennoch "unterirdisch". Ihm bleibt keine andere Wahl, als mit den Diensten zu kooperieren, er lässt seine Gerichte also auch über die Webseiten im Internet vermitteln. Trotz der hohen Gebühren: "Da sind im Monat ein paar Tausend Euro weg." Über die direkte Dino-Hotline, die den Betreiber keine zusätzlichen Gebühren kostet, rufen viel weniger Kunden als früher an. Bestellungen werden heute lieber über das Internet getätigt. "Wir versuchen dennoch, weiter zu kämpfen."

Klagen darüber, dass Lieferdienste den Wirten schaden, sind beim Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) noch nicht eingegangen, erklärt Bezirksgeschäftsführer Gerhard Engelmann. Das seien nun mal die zeitlichen Gegebenheiten, mit denen die Gastronomie heutzutage leben muss. Jeder Wirt könne natürlich selbst entscheiden, ob er kooperiere oder nicht. Gegen die Zusammenarbeit sprechen die hohen Provisionen von teilweise bis zu 30 Prozent, die die Firmen verlangen. "Das muss man sich kalkulatorisch schon gut überlegen." Das Liefergeschäft geht in Nürnberg dennoch sehr gut. Dass Lokale dadurch große Beeinträchtigung erfahren, ist Engelmann noch nicht zu Ohren gekommen. Er geht davon aus, dass der Erfolg der Kurierdienste in Zukunft anhalten wird. Sie seien mehr als nur eine Zeiterscheinung.

Lieferdienste: Harte Arbeit für wenig Geld

Bei Wind und Wetter unterwegs und das auch noch zu fast jeder Tageszeit: Die Fahrradkuriere, die Frau und Mann ihr Wunschmenü nach Hause bringen, arbeiten unter harten Bedingungen. Und das nach Ansicht der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) für eine zu schlechte Bezahlung. Foodora zum Beispiel zahle neun Euro pro Stunde, sagt Samir Boudih, Projektsekretär für das Hotel- und Gaststättengewerbe bei der NGG in Nürnberg. Boudhi schiebt auch gleich ein großes Aber hinterher: "Die Foodora-Kuriere müssen ihre Ausrüstung selbst finanzieren. Fahrrad, Regenkleidung, Smartphone und auch die Reparaturen ihrer Drahtesel." Damit liege die Bezahlung für die Fahrer letztlich unter dem Mindestlohn von 8,84 Euro. "Dazu kommt auch noch, dass fast alle mit einer sachgrundlosen Befristung angestellt sind." Unter den Kurieren in Nürnberg, mit denen er gesprochen habe, sei der Frust riesengroß.

Der Lieferdienst Deliveroo stelle ausschließlich Freiberufler an, fügt Boudih hinzu. "Damit will das Unternehmen verhindern, dass sich die Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisieren." Außerdem sparten sie sich die Sozialversicherungsbeiträge. Es handle sich hier eigentlich um Scheinselbstständigkeit, kritisiert Boudih.

Die Probleme seien bundesweit die gleichen. Die NGG will deshalb erneut auf das Thema aufmerksam machen und die Gastronomie über die Arbeitsbedingungen der Fahrer aufmerksam machen. Beim "Riders Day" am vergangenen Dienstag in Köln war auch eine Delegation der Nürnberger NGG dabei. Dort trafen sich Fahrer von Lieferdiensten aus ganz Deutschland, um sich für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen. Zu Gast bei dem Aktionstag war auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Er kritisierte die Beschäftigungspraktiken der Lieferdienste und sagte: "Wer Digitalisierung mit Ausbeutung verwechselt, hat mich zum politischen Gegner" Er betonte außerdem die Absicht der Bundesregierung, sachgrundlose Befristungen zurückzudrängen. "Ich werde die Gesetzgebung dazu innerhalb des nächsten Jahres auf den Weg bringen."

Wurstdurst-Chef: Man muss mit dem Trend gehen

Der Besitzer von Wurstdurst an der Luitpoldstraße und Beim Tiergärtnertor hat sich lange gegen die Aufnahme in einen Lieferdienst gesträubt. Christof Joschionek wollte seine Gerichte ungern aus der Hand geben. "Ich weiß ja nicht, was mit ihnen passiert, wenn sie aus dem Haus sind." Außerdem wollte er den Trend nicht unterstützen, weil dieser der Gastronomie schade. Aber wer mit der Zeit gehen will, dem bleibt nichts anderes übrig, sagt er. "Entweder ich spiele mit, oder ich verpasse den Trend." Deshalb ist Wurstdurst seit zwei Monaten bei Deliveroo vertreten. Dieser Anbieter ist seiner Meinung nach etwas sozialer als manch anderer. Ihm war wichtig, nicht bei einer "Abzocker-Firma" zu landen, die etwa ihre Mitarbeiter ausbeutet. Wobei: Knallharte Verträge hätten sie alle. Der Vorteil ist, dass der Lieferdienst keinen zusätzlichen Aufwand bedeutet - außer die Mehrarbeit in der Küche: "Ich muss keine Fahrer oder Autos stellen."

Seit 32 Jahren bietet das vietnamesische Küche, das Restaurant in der Bärenschanzstraße ist seit langem ein Klassiker. Das war wohl auch der Grund, weshalb eines Tages das Telefon klingelte und der Mitarbeiter eines Lieferdienstes am Apparat war. "Er hat gesagt, er möchte uns in eine Liste von Lokalen aufnehmen", erinnert sich Inhaberin und Küchen-Chefin Do Kim Anh. "Er wollte uns gleich am nächsten Tag besuchen und sagte, darüber sollten wir sehr froh sein, weil er nur selten persönlich in Nürnberg sei". Do war zunächst perplex und holte dann ihren Mann ans Telefon. "Ich habe zu ihm gesagt: Wir sind an ihrem Angebot nicht interessiert", erzählt Hong Sanh Nguyen. Er und seine Frau hätten auch so schon genug zu tun. Provisionen, Zeitdruck, neue Verträge? Bei diesem Trend möchte das Asialand nicht mitmachen.

Lieferdienste sind Fluch und Segen

Das Bratwurst Röslein arbeitet schon rund zwei Jahre mit Foodora zusammen: "Und das läuft sehr gut", erläutert Mitinhaber Thomas Förster, der auch Vizepräsident beim Dehoga ist. Der Geschäftszweig wächst pro Jahr deutlich. Der Gastronom hat angesichts dieses Zusatzgeschäfts aber nicht nur ein lachendes, sondern auch ein weinendes Auge: Einerseits könne er so seine Spezialitäten auch denjenigen bieten, die gerade nicht in sein Lokal kommen können - aus welchen Gründen auch immer.

Andererseits geht so die Kommunikation verloren, denn das Lokal ist seit jeher Begegnungsstätte. Diese Tradition geht verloren, wenn sich Menschen ihr Schäufele nach Hause bestellen. Und, ja, diese Menschen gibt es wirklich! Die Kooperation bringt auch Mehrarbeit für die Küche mit sich, die neben dem Tagesgeschäft zusätzlich den Lieferdienst bedienen muss. Und Foodora will schließlich besonders schnell bedient werden, verspricht es seinen Kunden doch schnelle Lieferzeiten. "Da wird es schon mal eng."

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