Extremstress im Klinikum: Zwei Ex-Pflegerinnen berichten

12.9.2018, 19:15 Uhr
Pflege im Eiltempo: An großen Krankenhäusern wie dem Nürnberger Klinikum macht sich der Personalmangel besonders schmerzhaft bemerkbar. Die Pflegekräfte, sagen zwei Insiderinnen, versuchten, die Lücken zu füllen. Doch es würden immer nur Lücken gestopft.

© dpa Pflege im Eiltempo: An großen Krankenhäusern wie dem Nürnberger Klinikum macht sich der Personalmangel besonders schmerzhaft bemerkbar. Die Pflegekräfte, sagen zwei Insiderinnen, versuchten, die Lücken zu füllen. Doch es würden immer nur Lücken gestopft.

"Ich bin so froh, dass ich gegangen bin. Man sieht dort kein Land." Froh? Man merkt Verena Busch (alle Namen geändert) an, dass ihr die letzten Jahre in den Knochen stecken. Sieben Jahre auf psychiatrischen Stationen, mit der wachsenden Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit, haben Spuren bei der 32-Jährigen hinterlassen. Sie wirkt resigniert, will sich beruflich umorientieren. "Einer versucht sich gerade umzubringen, ein anderer löst Feueralarm aus, die Dritte geht auf Mitpatienten los und ein Vierter will Gegenstände aus dem Fenster werfen." So explosiv sei die Lage auf Station immer wieder gewesen, sagt Busch. Wenn dann, wie zuletzt, nur noch zwei statt drei Pflegekräfte nachmittags Dienst hätten, schaukele sich das hoch.

Regelmäßig seien Therapien unter den Tisch gefallen, weil nur das Nötigste zu schaffen war. Dann werde mit den psychisch Kranken, deren Selbstwertgefühl mühsam wieder aufgebaut werden müsse, eben nicht mehr gebacken, nicht mehr in den Wald oder zum Sport gegangen. Busch: "Das Menschliche bleibt total auf der Strecke."

Vakante Stellen monatelang nicht neu besetzt

Wie es den Fachkräften auf den Stationen geht, weiß man an der Spitze des Klinikums offenbar ziemlich genau. 4662 Vollzeit-Planstellen gibt es dort aktuell in der Krankenpflege, mehrere Faktoren hätten in der Vergangenheit zu einer Arbeitsverdichtung geführt, so steht es in einer Stellungnahme des Klinikums zur Personalsituation. Schon seit Jahren weise man in Gesprächen mit Entscheidungsträgern in Politik und Gesundheitswesen auf die Unterfinanzierung hin. Allerdings könne es auf einzelnen Stationen "zu Anpassungen im Pflegeschlüssel" kommen. Was das genau bedeutet, war trotz Rückfrage nicht zu klären.

Was Verena Busch aus dem Job getrieben hat: Vakante Stellen seien monatelang nicht neu besetzt worden, auf dem Gang stünden immer zwei, drei Betten. Diese Notlösung sei für Menschen in psychischen Ausnahmezuständen schrecklich, aber leider ein Dauerzustand. Die 32-Jährige: "Versorgen Sie mal einen psychisch angespannten Patienten am Flur." Ihr Wunschberuf hat sich zum Alptraum entwickelt.

"Das hält ein kaputtes System aufrecht"

Marie Ristic (25) ist noch nicht ganz so weit. Sie hat am Klinikum gekündigt, wird bald in einem kleineren Krankenhaus in der Region anfangen: "Die Kleinen können sich die Patienten eher aussuchen als das Klinikum, das jeden aufnehmen muss." Drei Jahre war sie auf Intensivstationen beschäftigt. Fazit: "Viele Kollegen wollen das Optimale leisten und brauchen ihre Reserven restlos auf." Sie habe 50, ein Mitarbeiter sogar 400 Überstunden vor sich hergeschoben. Dieser schier übermenschliche Einsatz vieler Pflegekräfte habe einen großen Nachteil: "Das hält ein kaputtes System aufrecht, das vor dem Kollaps steht."

Was für Ristic unerträglich war: Menschen, die lange liegen mussten, sollten früh mobilisiert werden, um Lungenentzündungen oder Thrombosen zu verhindern: "Das dauert und bindet zwei Leute." In unterbesetzten Stationen gehe das nicht. Wer lange am Beatmungsgerät hing, müsse Schlucken und Essen erst wieder lernen. Hier gelte viel zu oft: keine Zeit. Sie habe selbst erlebt, dass Patienten länger im künstlichen Koma gelassen wurden als nötig, weil die Personaldecke gerade zu dünn gewesen sei. Das Klinikum weist an dieser Stelle darauf hin, dass gerade die Intensivmedizin am Haus in der Versorgung von Intensivpatienten eine Spitzenstellung einnehme. Die Intensivstationen verfügten über einen überdurchschnittlichen Anteil an examinierten Pflegekräften mit Zusatzqualifikation. Die Qualität dort werde regelmäßig durch externe Experten überprüft. Allerdings kämen die Pflegekräfte hier "viel zu oft an ihre Belastungsgrenzen", erklärt Prof. Stefan John, der Leiter der internistischen Intensivmedizin am Klinikum Süd.

Politik setzt enge Grenzen

Die Klinik betont außerdem, dass seit 2013 exakt 235 neue Stellen geschaffen worden seien. Allerdings komme es immer wieder zu Verzögerungen, wenn Stellen neu besetzt werden müssten. Der Markt an Pflegekräften, das ist bekannt, ist so gut wie leergefegt.

Zwei von 14 Betten in Marie Ristics Station seien lange Zeit wegen Personalmangels gesperrt gewesen. Das Klinikum habe dann aufgrund der damit einhergehenden Verluste Druck gemacht und den Stationszuschnitt verändert. "Das sah auf dem Papier gut aus, war aber nur ein Trick." Die Betten seien wieder belegt worden, die Pflegekräfte hätten die Mehrarbeit abgefangen.

Über die Gesamtzahl der wegen Personalmangels gesperrten Betten auf den Stationen macht die Klinik keine genauen Angaben. "Im Bedarfsfall können Stationen temporär von diesem Instrument Gebrauch machen", heißt es. "Das Klinikum weiß um die hohen Belastungen in der Pflege und was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten." Deshalb sorge man seit Jahren für eine höhere Personalausstattung, als sie der Gesetzgeber finanziere. Die Politik setze dem Klinikum im derzeitigen Finanzierungssystem jedoch enge Grenzen.

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