Falcons-Coach Junge: "Auf Dauer ist es zu viel"

14.4.2018, 18:36 Uhr
Spricht auch über die Nachwuchsarbeit im deutschen Basketball: Falcons-Coach Ralph Junge.

© Sportfoto Zink / DaMa Spricht auch über die Nachwuchsarbeit im deutschen Basketball: Falcons-Coach Ralph Junge.

NN: Herr Junge, hat sich der Deutsche Basketball-Bund schon für die Arbeit bedankt, die in Nürnberg in der abgelaufenen Saison geleistet wurde?

Ralph Junge: Natürlich nicht. (lacht) Die Bundestrainer wissen schon, dass wir Spieler ausbilden. Ich mache das ja jetzt seit fast 20 Jahren.

NN: Die Falcons setzen mehr als die meisten anderen Zweitligisten auf junge deutsche Spieler. Findet das keine Anerkennung beim DBB?

Junge: Na ja, wir haben uns in dieser Saison erst gar nicht für die Nachwuchszertifizierung der zweiten Liga beworben, weil es da mehr um infrastrukturelle Themen geht als um sportliche. Wenn es wichtiger ist, dass man schöne Konzepte schreibt und möglichst viele Massagebänke hat, dann sollen andere gewinnen. Es geht nicht so sehr darum, wie viele Spieler auf hohem Niveau gefördert werden. Da sind wir Deutschen immer sehr gut: in Lizenzen vergeben. Und bei Massagebänken.

NN: Was wäre denn der Lohn für die Zertifizierung?

Junge: Geld.

NN: Aber nicht so viel, dass sich der Aufwand lohnt?

Junge: Nein, wir haben einfach nicht die Trainingshalle, genügend lizenzierte Trainer... oder eben so viele Massagebänke. Wir haben auch nicht tausend Schul-AGs, sondern wir konzentrieren uns auf die Spieler, die wir haben und versuchen sozusagen, die Massensportart zu individualisieren. Andere Vereine haben einen Trichter, schmeißen oben viele hinein und bekommen unten etwas heraus. Das ist nicht falsch. Und es geht ja auch nicht nur um diejenigen, die ganz oben ankommen, sondern auch um die, die man auf ein Niveau bringt, das sie sonst nicht erreichen. Wir haben nicht das Personal, um alles abzudecken.

"Es gibt keine richtige deutsche Basketball-Philosophie"

NN: Dazu müsste man sich mit dem Post-SV, dem anderen großen Basketballverein in Nürnberg, zusammentun.

Junge: Aber dann hätten wir immer noch nicht die Kompetenzen, um die Spieler auf einem Top-Level entsprechend zu fördern. Das ist ja auch ein Problem, das wir generell in Deutschland haben.

NN: Fehlende Basketball-Kompetenz?

Junge: Wir haben nicht genügend eigene Trainer und es gibt keine richtige deutsche Basketball-Philosophie. Es kommen zwar gerade immer mehr gute deutsche Spieler raus, aber da gibt es viele unterschiedliche Gründe, warum das so ist. Mal ist es ein Vater, der es unheimlich pusht, mal ist es ein Jahrhunderttalent, mal war er zur richtigen Zeit in der richtigen Situation und ist entsprechend gefördert worden. Wir haben wenige Programme, wo Spieler kontinuierlich auf ein gewisses Niveau kommen.

NN: Auf Bundesliga-Niveau.

Junge: Das muss gar nicht immer die Bundesliga sein, denn dafür braucht es unter anderem ja auch körperliche Voraussetzungen. Einen Spieler in die Pro A oder die Pro B zu führen, ist manchmal vielleicht sogar schwieriger als einen Dennis Schröder in die NBA. Ohne diese Leistung schmälern zu wollen.

NN: Worin unterscheidet sich denn die Philosophie in Spanien oder beispielsweise Litauen?

Junge: Es ist in Deutschland immer noch eine vergleichsweise junge Sportart. Wenn man Spanien, Litauen oder auch Griechenland nimmt: Man erkennt sofort, wie sie Basketball spielen. Das fehlt uns noch. Vielleicht auch, weil wir so viele internationale Trainer haben. Und weil amerikanische Spieler zum Teil selbst die unteren Ligen prägen.

NN: Die Falcons haben gerade den Vertrag mit Jugendkoordinator Vytautas Buzas, einem Litauer, verlängert.

Junge: Ja, das ist einerseits gut, weil eine andere Perspektive reinkommt, andererseits steht das einer eigenen Schule natürlich entgegen. In anderen Ländern haben die Spitzenklubs mal einen ganz besonderen ausländischen Trainer, in der Bundesliga sind es eher zwei, drei deutsche Trainer. Bei den Sportdirektoren gilt oft das Gleiche.

NN: Wenig überraschend, wenn es am passenden Personal mangelt.

Junge: Warum wir aktuell so viele gute Spieler in Deutschland haben, aus den Jahrgängen 1989 bis 1992, ist auch auf die 6+6 Regel zurückzuführen (von zwölf Profis müssen mindestens sechs einen deutschen Pass haben, d. Red.). Auf einmal mussten diese Spieler gefördert werden. Das hat kurzfristig vielleicht zu einer kleinen Delle geführt, mittelfristig aber zu einer Steigerung der Qualität. Und das müsste im Bereich der Trainer und der Sportdirektoren eigentlich genauso sein, dass man da Deutschen das Vertrauen gibt. Ein Dirk Bauermann hat damals bei Bayer Leverkusen das Vertrauen von Otto Reintjes bekommen und ist damit zu einem in der Welt renommierten Trainer geworden.

NN: Stichwort 6+6-Regel: Luca Banchi, der neue - italienische - Cheftrainer von Brose Bamberg hat in einem seiner ersten Statements diese Regelung infrage gestellt.

Junge: Tja, was soll man da sagen? Es ist ein Desaster, wenn ein Trainer so etwas sagt, denn es gibt ja hervorragende deutsche Spieler, die auch in der Euroleague gut spielen. Bamberg hat das Problem, dass Harris und Heckmann verletzt sind, aber dass sie in dieser Saison nicht so gut dastehen, liegt doch nicht alleine an den deutschen Spielern. Zumal diese Aussage doch nur noch halb richtig ist.

NN: Inwiefern?

Junge: Wenn man zu den Bundesligavereinen schaut, heißen die Deutschen dort unter anderem Bartolo, DiLeo, Gavel, Djedovic und Radosevic, womit die Regel ohnehin schon aufgeweicht ist.

"Entscheidend ist, dass wir einen guten Pool an Spielern haben"

NN: Warum sollte es für die Vereine denn überhaupt der Anspruch sein, deutsche Spieler auszubilden? In einer Zeit, in der man nicht mehr von Vereinen, sondern von Programmen - also Unternehmen, spricht, kann es doch nur um Erfolg - also um Gewinnmaximierung, gehen.

Junge: Die Sportart wird immer nur dann groß sein, wenn die Nationalmannschaft erfolgreich ist- das sieht man aktuell gut beim Eishockey - und wenn es Vorbilder gibt. Zum Glück kommen nach Dirk Nowitzki jetzt einige Spieler nach. Und auch in der Bundesliga gibt es solche Vorbilder. Basti Doreth ist das Gesicht des Bayreuther Basketballs.

NN: Und als gebürtiger Nürnberger leider nicht des Nürnberger Basketballs.

Junge: Man macht nicht Nachwuchsförderung für sich selbst, sondern für den deutschen Basketball. Der Oldenburger Bub spielt irgendwann einmal in Gießen, der Gießener geht nach Berlin und der Berliner nach Ulm und der Nürnberger nach München. Entscheidend ist, dass wir einen guten Pool an Spielern haben.

NN: Jetzt setzt man in Nürnberg auch aus der Not heraus auf viele junge Spieler...

Junge: Moment. Als ich hier angefangen habe, gab es noch keine Not und wir haben das trotzdem gemacht.

NN: Anders formuliert: Seit dem Rückzug des Hauptsponsors setzt man bei den Falcons verstärkt auf junge Spieler, bei den meisten anderen Zweitligisten hat man das Gefühl, dass sich das immer noch ausschließt: junge deutsche Spieler zu fördern und gleichzeitig Erfolg zu haben.

Junge: Es gibt zwei Seiten. Natürlich haben wir in dieser Saison auch Spiele verloren, weil wir viele Minuten an junge Spieler gegeben haben. Das ist ein Invest, den sind wir bewusst gegangen. Ohne dieses Engagement bereits in den Jahren zuvor, hätten wir den Neustart nicht geschafft.

"Muss nicht immer Trainer der Profi-Mannschaft sein"

NN: Und die andere Seite?

Junge: Die andere Seite, die ich kritisch sehe: Man muss in der Nachwuchsbundesliga in der JBBL (U16) und in der NBBL (U19) jeweils ein Team stellen. In einer kleinen Stadt mit 50.000 Einwohnern ist das aber nicht so leicht. Da werden gerade einige Vereine zu unrecht kritisiert, in Nürnberg habe ich ein ganz anderes Potenzial als zum Beispiel in Vechta.

NN: Die demnächst wohl wieder in die Bundesliga aufsteigen. Noch mal: Wie lässt sich dieser Widerspruch auflösen zwischen Erfolg und einem ordentlichen Nachwuchskonzept?

Junge: Im besten Fall sitzen in der sportlichen Leitung Menschen, die auch ein bisschen visionär und nicht nur an ihren Zweijahresvertrag denken und daran, dass sie möglichst wenig Fehler machen.

NN: So wie in Nürnberg, wo sich Ralph Junge keine Gedanken machen muss, das ihn jemand entlässt. Ketzerisch gefragt: Wenn Ihnen so viel daran liegt, junge Basketballer auszubilden, warum tun Sie sich dann eigentlich all das an, was noch so einher geht, wenn man Geschäftsführer eines relativ klammen Zweitligisten ist?

Junge: Beim DBB hat man glaube ich gar nicht so viel Einfluss auf die Nachwuchsarbeit, das bleibt ja eher in den Vereinen. Aber wer weiß, was in den kommenden Jahren noch so passiert? Vielleicht sitze ich dann fünf Stunden im Büro und trainiere danach mit unserem Nachwuchs und überlasse das Coachen der ersten Mannschaft anderen Leuten.

NN: Sie sind amtsmüde?

Junge: Ich muss nicht immer Trainer der Profi-Mannschaft sein. Durch unsere Zusammenarbeit mit werk:b wird mir einiges abgenommen, aber auf Dauer ist es trotzdem zu viel, Geschäftsführer und Cheftrainer zu sein.

NN: Und dann würden Sie sich für den Posten als Geschäftsführer entscheiden?

Junge: Warum nicht? Seit 20 Jahren stehe ich fast jeden Abend und jedes Wochenende in der Turnhalle. Und was soll ich sagen: Skifahren ist auch schön. Das ist nicht leicht, wenn man über die Social-Media-Kanäle bombadiert wird mit Bildern, wo andere auf 3000 Metern in der Sonne sitzen, während ich mit dem Neunsitzer durch Deutschland fahre.

NN: Man kann sich trotzdem schwer vorstellen, dass sich Ralph Junge zurücklehnt und seine Mannschaft jemand anderem überlässt.

Junge: Schauen wir mal, Vytautas wäre durchaus eine Option. Was wahrscheinlich nie aufhören wird: die Arbeit mit jungen Leuten, weil es zu sehr Spaß macht, die Entwicklungen zu beobachten. Ben Gahlert zum Beispiel wird jetzt sein Abitur machen, nach der nächsten Saison will er in die USA aufs College und vielleicht kommt er danach zurück. Es ist toll, so einen Weg zu begleiten.

NN: Und wenn er nicht mehr zurückkommt oder sich andere Talente größeren Vereinen anschließen wollen?

Junge: Das Ziel muss es sein, dass wir irgendwann ein rollierendes System haben; dass wenn sich Olympiakos Piräus bei Moritz Sanders meldet, dass dann der nächste Junge in die Fußstapfen tritt. Auch wenn es im Basketball meistens immer noch keine großen Ablösesummen gibt, glaube ich, dass das der richtige Weg ist. Und dass wir kommende Saison noch mehr zurückbekommen werden.

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