Fall 31: Zwischen warmer Suppe und Wundverband

17.12.2016, 12:59 Uhr
Fall 31: Zwischen warmer Suppe und Wundverband

© Foto: Matejka

Das Bein sieht heute schon bedeutend besser aus. Die Maden daran sind verschwunden. Doch heil ist es noch lange nicht, also legt Krankenschwester Christine Schröder einen neuen sterilen Verband an — nur wie lange der die empfindliche Wunde schützen kann, weiß niemand. Der Mann lebt auf der Straße, da fällt es schwer, eine Wunde sauber zu halten. Ein frischer Verband ist zumindest ein Anfang. "Aber wir hatten hier auch schon Patienten, die über Wochen und Monate nicht zum Wechseln kamen", sagt sie. Hier ist es das Bein, im Nachbarraum der Finger, der versorgt werden muss.

Es ist ein ruhiger Vormittag in der Straßenambulanz der Caritas. Im Wartezimmer döst einer vor sich hin, ein anderer sitzt auf der Liege in einem der Behandlungszimmer und wartet, dass bei ihm der Blutzucker gemessen wird. Während in der Küche bereits die Wannen mit Reis und Cevapcici im großen Heißluftofen dampfen und Schwester Anna und ihre Helfer Schälchen mit Salat füllen.

In den Räumen des ehemaligen Franziskanerklosters St. Ludwig werden Menschen medizinisch versorgt, können sich in der Kleiderkammer mit dem Nötigsten eindecken, bekommen etwas zu essen. Manche von ihnen sind froh über Zuspruch, andere einfach nur darüber, einen Ort zu haben, an dem sie nicht alleine sind.

Seit neun Uhr sitzen hier schon manche in dem großen Raum des Tagestreffs vor einem Kaffee oder einer Tasse Tee, essen ein Hörnchen oder ein Brot — Nahrungsmittel, die ein Bäcker gespendet hat. "Für manche ist das hier der einzige Ort, an dem sie sich, ohne Geld zu brauchen, den ganzen Tag aufhalten können", sagt Roland Stubenvoll, der die Einrichtung leitet — und meint damit Menschen, die beengt in Obdachlosenpensionen leben oder auf der Straße.

"Früher war der Besucher männlich und obdachlos", sagt Stubenvoll. 21 Jahre nachdem der Mönch Bruder Martin die Straßenambulanz gegründet hatte, ist heute alles vertreten — längst auch Familien, Schwangere, Kranke ohne Krankenversicherung. Und das sind nicht wenige: Von den 1341 Patienten, die im vergangenen Jahr in der Ambulanz versorgt wurden, hatten 743 keinen Versicherungsschutz. Wie das Kind rumänischer Eltern, dessen Zähne verfault sind und das nun dank eines Zahnarztes behandelt werden kann – unentgeltlich. "Wir sind immer auf Spenden angewiesen, aber auch ganz stark vom Goodwill abhängig. Doch das funktioniert sehr gut", sagt Stubenvoll und berichtet von all den Fachmedizinern, die die Menschen ohne Honorar behandeln: etwa Frauenärzte, die Schwangere untersuchen, oder der Chirurg, der einmal in der Woche kommt und kleine Eingriffe vornimmt. Das ist umso wichtiger, als so mancher Wohnungslose den Weg ins Krankenhaus oder in eine Praxis scheut — oft aus Scham.

Nur etwa ein Drittel der Patienten hat eine eigene Wohnung, die anderen sind bei Freunden oder der Familie untergekommen, leben in Pensionen, sind „auf Platte“, schlafen in sozialen Einrichtungen, in Notschlafstellen , in Lauben oder Zelten. Mangelnde Hygiene, schlechte Ernährung, Alkohol, das Leben auf der Straße – das geht an keinem spurlos vorüber. Im Gegenteil: So ein Leben macht auf Dauer krank. Im Fall des Mannes, den Schwester Christine Schröder mit einem neuen Verband versorgte, hatte sich dessen Bein entzündet, eine Entzündung folgte der anderen, irgendwann war es offen und am Ende von Maden befallen.

Viel kränker als andere

Doch die wenigsten Patienten haben hier nur ein Paket, das sie in ihrem ohnehin schweren Leben mit sich herumschleppen. "Unsere Patienten sind in der Regel kränker als die in einer regulären allgemeinmedizinischen Praxis", sagt Dr. Jörg Seiler. Also bekommt er Erkrankungen zu sehen, die seine Kollegen eher selten auf der Liege haben: offene Beine, Abszesse von dreckigen Spritzen, zuweilen abgestorbene Zehen. Es gibt kaum etwas, was der 47-Jährige noch nicht behandeln musste. Doch das sind nur die sichtbaren Wunden. Die meisten der Patienten sind auch psychisch angeschlagen. Die einen aufgrund ihrer Lebenssituation, die anderen trieben gerade seelische Probleme in die Not und ins soziale Abseits. Deshalb wird ab Januar in der Ambulanz auch eine Psychiaterin an Bord sein.

Zwar gleicht kein Fall dem anderen — und doch eint alle, dass die Krankengeschichten ein Fingerzeig auf die schwierigen Lebensumstände sind. Da ist etwa der Wohnungslose, der mit einer Lungenerkrankung und Diabetes auf der Straße leben muss, oder die junge Frau, die nach einem sexuellen Trauma in der Kindheit in die Drogensucht abgerutscht ist. Seiler macht seinen Job gerne, wie er sagt — trotz all der traurigen Geschichten. "Wenn man sieht, welches Elend es gibt, dann ist das auch ein Motor." Die Ambulanz sei einfach eine "soziale Notwendigkeit", der man sich stellen müsse.


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