Fassadenarbeiten in Neuselsbrunn eigentlich überflüssig?

24.11.2018, 13:25 Uhr
Fassadenarbeiten in Neuselsbrunn eigentlich überflüssig?

© Foto: Stefan Hippel

"Hier entstehen täglich Schäden in Höhe von sechsstelligen Summen", sagt Stefan Thiel. Was er damit meint: In Neuselsbrunn werden gerade Fassaden entfernt, die seiner Ansicht nach eigentlich gar nicht entfernt werden müssen. Die Entscheidung dazu fällte die Oberste Baubehörde der Stadt im Oktober – Thiel spricht von einer "Chronologie des Versagens". "Ich wurde angerufen, am nächsten Tag fand das Krisengespräch statt", erinnert er sich. Die Stimmungslage bei diesem Gespräch: "Alle sind sofort in den Grenfell-Tower-Modus verfallen", so Thiel. Dabei hätte man doch nur einmal nachdenken und nachsehen müssen, dann wäre man schon zu dem Schluss gekommen, dass die Fassade eben ganz anders ist als an dem Londoner Hochhaus, bei dessen Brand im vergangenen Jahr 71 Menschen ums Leben gekommen sind.

Thiel argumentiert: Die Hochhäuser wurden in den 60er Jahren von der Deutschbau errichtet. "Es ist doch völlig undenkbar, dass eine Bundeswohnungsbaugesellschaft illegal brennbares Material verbaut", so Thiel. Das, was verbaut wurde, sei schon damals alles so genehmigt worden, sagt er. Auch die Sanierung in den 90er Jahren, für die er verantwortlich ist, sei mit der Stadt abgestimmt worden.

In der Tat – die Fassadenschicht, für die Thiel verantwortlich war, ist nicht die Schicht, die möglicherweise in Flammen aufgehen könnte. Vielmehr geht es um die Schicht darunter – also die Original-Fassade, die in den 90er Jahren neu verkleidet wurde. Laut Thiel ist es um den Brandschutz seit der Sanierung sogar besser bestellt als zuvor. Durch die neue Schicht käme bei einem Feuer schließlich kaum noch Sauerstoff an die alten Heraklith-Platten mit dem dünnen Styroporkern. Eine Ausbreitung der Flammen wäre damit praktisch unmöglich. Überhaupt: "In den Hochhäusern gab es in der Vergangenheit Zimmerbrände", so Thiel. Über die Fassade habe sich dabei aber kein Feuer ausgebreitet.

Kleine Änderungen hätten absolut gereicht

Freilich, heute würde man die Fassade nicht mehr genauso anbringen, im Wesentlichen könne sie aber durchaus an den Häusern bleiben. "Man müsste einen Brandschutzingenieur damit beauftragen, die Häuser genau zu untersuchen", sagt Thiel. Der würde dann vielleicht zu Änderungen der Dämmung an Fluchtwegen raten – alles in allem aber zu Maßnahmen, die höchstens einen Bruchteil dessen kosten würden, was eine komplett neue Fassade verschlingt.

"Ich stehe zu dem, was ich damals gemacht habe", sagt Thiel. "Und das deckt sich mit dem Interesse der Eigentümer." Von diesen fürchten derzeit einige um ihre Existenz. Noch ist unklar, wie hoch die Kosten für die Fassadenarbeiten ausfallen werden – klar ist aber schon jetzt, dass wohl nicht alle Eigentümer die unerwarteten Mehrkosten werden stemmen können.

Millionenwerte zerstört

Was Thiel aber ganz besonders ärgert: Der Vorwurf der Stadt, er habe damals in den 90er Jahren in Zeiten der Deregulierung Arbeiten ausgeführt, die so nicht in Ordnung gewesen sind. "Die Sanierung wurde mit dem Planungsamt genau abgestimmt", so Thiel. Sein Vorschlag: "Man sollte die Abrissarbeiten für 14 Tage stoppen und genau prüfen, ob sie überhaupt nötig sind." Denn im Moment – da ist sich Thiel sicher – werden einfach nur Millionenwerte ohne Sinn und Verstand zerstört.

Seitens der Stadt sieht man den Sachverhalt nach wie vor anders: Die Fassaden sind gefährlich und müssen weg. Die Hochhäuser in Neuselsbrunn sind aber nicht die einzigen, die die Stadt nun genauer unter die Lupe nimmt. Ob auch weitere der mehr als 100 Hochhäuser im Stadtgebiet von derartigen Brandschutzmängeln betroffen sind, wird momentan geprüft. Wer letztlich die Kosten für die Arbeiten in Neuselsbrunn übernehmen muss, ist derzeit noch überhaupt nicht klar. "Das werden am Ende wohl die Gerichte klären", heißt es vonseiten der Stadtspitze.

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