Feiner Augen-Blick

21.11.2016, 13:36 Uhr
Feiner Augen-Blick

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Solche Dinge müssen sein, wenn eine Tagung organisiert wird und das Team tagt, das hinter den Abläufen steht. Aber lieber beschäftigt sich Armin Scharrer, Augenarzt in Fürth, zum Beispiel mit dem, was er „ein neues, emotionales Format“ nennt: Beim nächsten Internationalen Kongress der Deutschen Ophthalmochirurgen wird es einen Richter geben — keinen Juristen, sondern einen operierenden Augenarzt. Zwei Kontrahenten werden ihre unterschiedlichen Ansichten zu einem Streitthema vortragen, und am Ende gibt es ein Urteil, wer denn nun recht hat.

Der Richter steht noch nicht fest — muss er auch nicht, das nächste Treffen ist erst im Mai. Aber die Anforderungen sind definiert: Unparteiisch muss er sein, angesehen, unbeeinflusst durch die Industrie oder durch Eigeninteressen. Dieses Profil steht ziemlich genau für das, was der Kongress sein will.

Konkrete Hilfe für den Alltag eines Augenchirurgen, renommierte Referenten, am besten die weltweit Besten – das war die Vision, die Armin Scharrer zusammen mit seinem Freund und Kollegen Thomas Neuhann aus München entwickelte, vor gut 30 Jahren in einem unscheinbaren Lokal in Röttenbach. Das war neu: „Es gab so etwas nicht in Mitteleuropa, dass man ehrlich über die Dinge gesprochen hat und sich nicht selbst gelobt hat.“

Scharrer und Neuhann wollten es anders machen, ohne große Struktur im Hintergrund und auf eigenes finanzielles Risiko. Zur ersten Veranstaltung, die damals noch Jahrestagung der operierenden Augenärzte hieß, kamen 1988 gerade mal 80 Kollegen ins Münchner Künstlerhaus. Ein Jahr später waren es 150. Dann zog die Veranstaltung nach Nürnberg um, weil Scharrer die Organisation übernahm. Immerhin wurde die Kleine Meistersingerhalle voll.

Rund 5700 Besucher

Heute kommen jedes Jahr rund 5700 Besucher ins Messezentrum, Referenten reisen aus den USA, Singapur oder auch Australien an – der Kongress hat weltweite Bedeutung bekommen. Die Entwicklung ist alles andere als selbstverständlich, denn ärztliche Fortbildungsveranstaltungen gibt es wie Sand am Meer, beinahe an jedem Kreiskrankenhaus. Der renommierte Fortbildungskongress der Bayerischen Landesärztekammer, seit Jahrzehnten in Nürnberg, musste vor Jahren mangels Teilnehmern eingestellt werden.

Scharrer macht sich keine Illusionen: „Zehn Prozent der Kongresse wären voll ausreichend, die anderen 90 Prozent könnte man einsparen, ohne dass es Wissenslücken bei den Ärzten gibt.“

Ganz klar: Die Veranstaltung, die er entwickelt hat, soll zu den zehn Prozent gehören, und deshalb muss das Angebot attraktiv bleiben. Es gibt, zum Beispiel, Simulationscomputer, an denen junge Augenärzte Eingriffe üben können, die sie in ihrer Klinik noch nicht machen dürfen — auch wenn so eine Maschine 6000 oder 8000 Euro Miete kostet – am Tag. Und es wird eine Veranstaltung geben, in der sich junge Frauen austauschen können. Sie stellen zwar heute die Mehrheit des Arztnachwuchses, haben es in der Hierarchie aber immer noch schwer. Und auch bei den Patienten, die sie gelegentlich mit der Schwester verwechseln.

Heute ist der Kongress, hinter dem jetzt die eigens gegründete Deutsche Gesellschaft für Opththalmochirurgie steht, ein Selbstläufer — wer eingeladen ist, kommt in aller Regel, auch wenn es kein Honorar gibt. „Es ist wunderbar, so wie es ist“, schwärmt Scharrer. Selbst am Anfang war es kein Problem, gute Referenten zu bekommen, weil die Organisationen auch international gut vernetzt waren. So erinnert er sich jedenfalls heute – und fragt sich zugleich, ob vielleicht Verklärung im Spiel ist.

Dabei: Arzt sollte Scharrer gar nicht werden, jedenfalls wenn es nach den Vorstellungen seines Vaters gegangen wäre. Der war niedergelassener Mediziner im oberpfälzischen Nabburg, immer rund um die Uhr erreichbar und riet seinem Nachwuchs deshalb dringend von diesem Beruf ab. Nicht sehr erfolgreich, auch zwei weitere der fünf Kinder traten in diese Fußstapfen.

Scharrer entschied sich nach dem Studium für die Augenheilkunde; operieren wollte er, aber besser nicht am Herzen, weil mit zu viel Verantwortung über Leben und Tod verbunden. Also lieber die Augen, denn dort lockten auch besondere Erfahrungen: „Wir können heilen in der Ophthalmogie“, schwärmt Scharrer, „wir haben ein rasches, messbares Erfolgserlebnis“ — zum Beispiel, wenn ein Patient nach Beseitigung des Grauen Stars wieder gut sieht.

Ausbildung in Erlangen

Nach der Ausbildung in Erlangen war er Oberarzt in Pforzheim und ließ sich schließlich 1982 in Fürth nieder — mit seinem Kollegen Dr. Manuel Ober. Die Partnerschaft besteht bis heute — und aus der Praxis entstand die Ober-Scharrer-Gruppe. Hinter der Expansion, die zu zahlreichen weiteren Standorten in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen führte, stand eigentlich kein Plan. In manchen Orten fehlten einfach Augenärzte, die ambulant operierten, und dann wurden den beiden Praxen angeboten. Das Vorgehen war oft ähnlich: Ein junger, talentierter Arzt aus dem eigenen Unternehmen übernahm den Standort. Zu den Eingriffen kam zumindest in der ersten Zeit ein erfahrener Kollege angereist.

In die Schlagzeilen kam die Gruppe nur einmal, als ein Finanzinvestor eingestiegen ist — auch, um die Zukunft des Unternehmens zu sichern. Es gibt eine Geschäftsführung, die sich um die Finanzen kümmert und ein ärztliches Direktorium – eine Struktur also, die nicht mehr von den beiden Gründern abhängig ist.

Scharrer konzentriert sich jetzt auf das, was ihm Freude macht: Zweimal in der Woche hält er einen halben Tag Sprechstunde, ebenso oft steht er im Operationssaal. Die andere Hälfte seiner Arbeitszeit nimmt der Kongress in Anspruch, der kommendes Jahr zum 30. Mal stattfindet. 65 Jahre ist Scharrer jetzt alt, an den Ruhestand denkt er trotzdem noch nicht: „Es macht mir noch so viel Freude, und so lange das noch so ist, mache ich weiter.“

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