Frau lebendig verbrannt: Gericht spricht Angeklagten frei

13.12.2016, 15:30 Uhr
Frau lebendig verbrannt: Gericht spricht Angeklagten frei

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Am 17. Januar 2016 verbrannte eine Nürnbergerin (61) in ihrer Wohnung im Stadtteil Schoppershof – erst gingen die Ermittler von einem Unglück aus, dann erhob die Staatsanwaltschaft Mordanklage gegen den Lebensgefährten der Frau, Siegfried T. (55). Nun hat die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth den 55-Jährigen freigesprochen – die Kammer hält es für möglich, dass sich Inge M. in jener Nacht selbst das Leben genommen hat. 

In ihrer Urteilsbegründung führt die Strafkammer aus, wie sehr die Beziehung der beiden von Gewalt und Alkohol geprägt war. Siegfried T. hatte Inge M. immer wieder geschlagen – doch ermordet hat er sie nicht. Mit dem Freispruch folgt die Strafkammer, die mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen getagt hat, dem Antrag von Strafverteidiger Tobias Schmidt – er hatte Freispruch beantragt. Die Staatsanwaltschaft ging dagegen von Mord aus und plädierte für eine lebenslange Freiheitsstrafe.  Nach Ansicht der Anklage hatte der Mann die Frau nach einem Streit mit Benzin übergossen und angezündet, um eine vorangegangene Körperverletzung zu vertuschen.

Gewalt an der Tagesordnung

Demnach hatte Siegfried T. die Frau in jener Nacht geschlagen – und es wäre nicht die erste Verletzung, die er, ein Mann mit drei Dutzend Vorstrafen, seiner Lebensgefährtin zufügte – erst im November 2015 war er wegen Körperverletzung an ihr zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden. Noch war das Verfahren nicht rechtskräftig, Siegfried T. hoffte auf die Berufungsverhandlung.

Doch nun hatte Inge M. wieder eine blutende Wunde und Siegfried T. wollte nicht wieder ins Gefängnis: Um seine Tat zu vertuschen, übergoss er sie mit Benzin und zündete sie an, so meint die Staatsanwaltschaft. 

Ein Argument, das die Richter nicht überzeugte: Schließlich hatte Inge M. in der ersten Verhandlung bereits gegen Siegfried T. ausgesagt. Auch ein Motiv für die Tat sehen die Richter nicht: Der 55-Jährige habe von der Frau immer alles bekommen, was er wollte – eine Wohnung, Sex und Gesellschaft. Auch trank sie mit ihm gemeinsam. Nun hat er durch den Brand sein eigenes Heim verloren – nach dem Freispruch muss er für die erlittene Untersuchungshaft entschädigt werden, die Kosten für das Verfahren trägt die Staatskasse.

Nachbarn und Verwandte schauten weg

Siegfried T. hatte unmittelbar nach der Tat gegenüber der Polizei angegeben, dass sich Inge M. selbst angezündet habe – eine Aussage, die er in mehreren Vernehmungen und auch vor dem Ermittlungsrichter konstant wiederholte. In der Urteilsbegründung schilderte die Vorsitzende Richterin, dass die Polizei immer wieder zu dem Paar gerufen wurde, auch die Nachbarn hätten häufig lautstarke Streitereien mitbekommen. Meist hätten sie dann aber nur den Fernseher lauter gedreht. "Geholfen hat der Frau niemand", so Richterin Barbara Richter-Zeininger. Am Tag des Brandes war der Sohn der Inge M. am Nachmittag zu Besuch, seit vier Jahren hatte sie ihn nicht mehr gesehen.

Ihm offenbarte die 61-Jährige, dass ihr Lebensgefährte sie schlägt – und trotzdem habe ihr Sohn sie wieder mit dem 55-Jährigen allein gelassen. Die Kammer hält es für denkbar, dass auch diese Begegnung die Frau letztlich dazu brachte, sich selbst mit Benzin zu übergießen und anzuzünden. "Nichts und niemand hat ihr geholfen – keine Anzeige, ihr Sohn nicht und auch nicht die Nachbarn.", so heißt es in der Urteilsbegründung.

Der Angeklagte erlitt bei dem heftigen Feuer ebenfalls Brandverletzungen an Kopf und Händen. Wie er sich diese Verletzungen zugezogen hat – ob durch eine Stichflamme beim Anzünden oder durch eine Verpfuffung – konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden. Fest steht nach Aussage eines Psychiaters nur, dass er in jener Nacht völlig unter Schock stand, als er, nur mit Unterwäsche gekleidet, nach draußen lief. Eben weil er unter Schock stand, kam auch keine Verurteilung wegen unterlassener Hilfeleistung – in jener Nacht wurden aus dem Mehrfamilienhaus mehrere Nachbarn evakuiert – in Betracht. Es waren fünf Jugendliche, die in jener Nacht die Polizei und die Feuerwehr alarmierten und bei den Nachbarn klingelten. 

Dieser Artikel wurde um 15.30 Uhr aktualisiert.