Freiwilliger Verzicht aufs eigene Auto

6.5.2015, 07:59 Uhr
Freiwilliger Verzicht aufs eigene Auto

© Fotos: Maria Timtschenko

Im Jahr 2012, genau zwei Tage vor Weihnachten, hat sich mein Auto aufgrund eines technischen Defektes selbst entzündet und brannte auf der Straße aus. Das war ein Schock für mich. Was sollte ich jetzt tun? Von einen auf den anderen Tag war ich ohne fahrbaren Untersatz. Über die Weihnachtstage ein Auto zu kaufen, stellte sich als schwierig heraus. Immerhin hatte ich keine beruflichen Termine.

Das war schon einmal gut und verschaffte mir Zeit. Und die nutzte ich, um erst einmal in aller Ruhe mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Wenn man keinen Termindruck hat, sollte das doch gut möglich sein, oder? Doch ich merkte, um meine ÖPNV-Kompetenz war es nicht gut bestellt. Wann und wo fährt der Bus? Was kostet die Fahrkarte? Wo bekomme ich ein Ticket? Wie lese ich Fahrpläne? Aus der Gelassenheit, die ich mir vorgenommen hatte, wurde rasch eine Gereiztheit.

Mühsam waren deshalb die eigentlich ruhigen Tage zwischen Weihnachten und Neujahr. Die Bemühungen zeigten erste Früchte. Und Hilfe wurde mir auch zuteil: Eine App für die Abfahrtszeiten von Bussen und Bahnen lud mir meine Tochter ebenso auf mein Smartphone wie den Zugang zum Handy-Ticket des VGN. Mit der „Öffi- App“ lassen sich präzise sofort verfügbare Verbindungen von Bussen, Straßenbahnen und U-Bahn herausfinden — alle bekommt man mit nur einem Klick angezeigt. Jederzeit abrufbar und umplanbar. Für mich als selbstständige Innenarchitektin, die in der Altstadt die Wohnung in der Lammsgasse und das Büro in der Burgstraße hat, ein Traum.

App als Hilfsmittel

Die Wege von einem Ort zum nächsten und anschließend wieder zurück sind damit gar nicht mehr so schwer gewesen. Schritt für Schritt und Fahrt für Fahrt fand ich mich besser zurecht. Da mir über die App an der jeweiligen Haltestelle sogar noch ein Umgebungsplan und der restliche Fußweg eingeblendet werden, wagte ich immer mehr.

Freiwilliger Verzicht aufs eigene Auto

Wow, das hatte ich nach den Anfangsschwierigkeiten nicht gedacht. Ich freundete mich mit dem ÖPNV an und stellte fest: Das geht ja nicht nur, sondern das geht ja richtig gut! Ich komme dahin, wo ich will, der Zeitaufwand ist im Vergleich zur Fahrt mit dem Auto auch nicht viel größer. Statt einen Parkplatz zu suchen, laufe ich von der Haltestelle zu meinem Ziel — im Schnitt so um die zehn Minuten.

In dieser Euphorie stellte ich mir Ende Januar 2013 eine bis dato völlig unvorstellbare Frage: „Brauche ich überhaupt ein eigenes Auto?“ Ich, eine überzeugte Autofahrerin mit Anwohnerparkschein und einem Auto, das, zugegeben, mehr stand als fuhr? Ausgerechnet ich sollte meinen mobilen Schutzraum aufgeben? Meine Privatsphäre, meine Freiheit und meine Unabhängigkeit?

Bedenken machten sich breit und ich war unsicher: Geht das ohne Auto? Dann waren da aber noch die laufenden Kosten. Aber wie hoch sind die überhaupt gewesen? Ich addierte überschlägig. Tanken, Reparaturkosten, Steuern, Versicherungen, Tüv, Anschaffungskosten und Strafzettel.

Ich schaute auf den Taschenrechner und erschrak: Seit Jahren gebe ich im Schnitt rund 4000 Euro pro Jahr für ein Auto aus. Dafür hätte ich eine Menge anderer Verkehrsmittel nutzen können. Busse, Bahnen, Taxis und jede Menge Mietwägen. Konnte es sein, dass ich jahrelang teuer und nicht mal gut mobil war? Also wagte ich es und beschloss auf ein eigenes Auto zu verzichten – zunächst für ein Jahr.

Anfangs nutzte ich ein privates Carsharing. Zu Beginn sah es vielversprechend aus. Ein Student von der WiSo fuhr morgens in der Nähe von meinem Büro in der Altstadt vorbei, hielt an, stieg aus und ging zur Uni — ich stieg ein und fuhr los. Meine beruflichen Termine legte ich alle zusammen auf einen Tag, an dem er Vorlesungen hatte. So war ich sehr effizient unterwegs.

Doch auf die Dauer war das Angebot zu beschränkt. Ein Auto nur an einem Tag in der Woche, und nur dann, wenn es für jemand anderen passte, individuell mobil zu sein. Wer in der Innenstadt lebt, kann in der Regel viel zu Fuß erledigen, aber schwere Teile wie Kleinmöbel oder einfach nur Katzenstreu, da ist ein Auto schon sehr praktisch und bequem. Kurzfristig mal schnell wohin, am Sonntag aufs Land zum Mittagessen fahren, dafür ist ein Auto schon wichtig.

Meine Rettung war der Ausbau von gewerblichen Carsharing-Angeboten. Mit ihnen kann ich jetzt buchen, was ich und wann ich es brauche. Für verschiedene Fahrten gibt es verschiedene Autos. Bequeme für Langstrecken, Transporter und kleine „Hupfer“ für Stadtfahrten am Abend.

Kein Gekreisel mehr

In der Nähe am Augustinerhof ist ein Auto stationiert. Wieder hilft mir eine App. Sie zeigt mir, wann und wo Fahrzeuge frei sind. Die Stationen sind schnell erreicht. Eine ist vier Minuten von meinem Büro entfernt, eine andere acht Minuten. Wenn ich zurückkomme gibt es kein Gekreisel mehr auf der Suche nach einem freien Parkplatz. Einfach hinfahren, abstellen, fertig.

Ich habe jetzt ein Jahresabo für Carsharing für 10 Euro im Monat und die Kosten für den „Kleinen“ betragen pro Stunde 1,75 Euro tagsüber. Dazu kommt eine Kilometerpauschale inklusive Benzin von 0,26 Euro.

Am Nordostbahnhof bei der wbg haben im Viertel viele die Chance, im Rahmen eines Pilotprojekts ein neues Mobilitätsmodell auszuprobieren. Es heißt „bewegt.wohnen“. Beteiligt sind VAG und ein Carsharing-Anbieter. Vier Wagen stehen zur Verfügung: drei VW up und ein Golf Variant.

Wenn sich das Projekt als ein Renner entwickelt, wird die Flotte aufgestockt. Für jedes Auto gibt es einen reservierten Stellplatz im Quartier. Das ist ein gutes Projekt für die Stadt und das Quartier. Es bringt weniger Lärm und Abgase, weniger Parkplatznot, Platz für Grün – all das erhöht die Wohnqualität im Viertel und schont die Umwelt. Falls das Carsharing-Modell am Nordostbahnhof gut angenommen wird, könnte es irgendwann auch an anderen Quartieren in Langwasser oder Sündersbühl angeboten werden.

Finanziell verbessert

So stand es in der Zeitung. Ähnliches wünsche ich mir auch für die Altstadt. Finanziell habe ich mich übrigens verbessert. Heute kostet mich ein Kilometer knapp 22 Cent. Im Vergleich zu den 45 Cent, die ich für mein Auto bezahlt habe, spare ich also, ohne mich einzuschränken. Manchmal war ich sogar flexibler, komfortabler und sicherer unterwegs.

Klar, so etwas geht nur in Stadtteilen mit Carsharing–Angebot und gutem Nahverkehr. Aber das sind gar nicht mehr so wenige. Mein Experiment ist jedenfalls geglückt – und ich werde es fortsetzen.

Tagsüber habe ich keine nervige Parkplatzsuche mehr. Stattdessen fahre ich heute viel öfter mit der VAG und natürlich mit dem Zug oder buche einfach ein Auto stundenweise, wobei mein Smartphone der Generalschlüssel zu meiner vielfältigen Mobilität ist. Dabei habe ich öfter schöne Erlebnisse.

Auf dem Weg zur U-Bahn sehe ich heute Dinge, die mir früher entgangen sind. Ich treffe Bekannte, führe Zufalls-Gespräche mit Fremden und gewinne neue Eindrücke. Ich habe in anderen Stadtteilen neue Läden und schöne Cafés entdeckt. Wie ich lernte, haben auch manche U-Bahnstationen ihre eigenen Reize. Wichtig ist mir, dass ein kurzes Warten auf die nächste Bahn genügen kann, um den im Alltag oft überfüllten Kopf zu lüften.

Beim Gehen zur Haltestelle oder nach Hause kommen mir manchmal die kreativsten Ideen. Es ist ein anderes Lebensgefühl ohne meinen fahrbaren Schutzraum. Ohne lähmende Staus, dafür ist die Bewegung nun fest in meinem Alltag integriert. Damit reduziert sich auch das Körpergewicht Schritt für Schritt — zehn Kilogramm sind es inzwischen. Und noch eines: Ich muss nie wieder Auto putzen!

Gerne bin ich Fußgänger, das ermöglicht spontane Erlebnisse und Begegnungen, manchmal löse ich sogar wichtige Fragen unterwegs. Der Bewegungsraum für Fußgänger verdient mehr Beachtung und gehört auch an vielen Stellen besser gelöst. Das sehe ich jetzt sehr deutlich. Wünschenswert wäre sicher auch für viele ÖPNV-Nutzer ein offenes W-LAN an den Haltestellen.

Mein persönliches Mobilitätskonzept steht jetzt so. Und das ist kein Versuch mehr, sondern ein funktionierendes System mit einer geänderten Lebensqualität.

Eines muss ich aber zugeben. Mit dem Fahrrad bin ich im Berufsalltag noch nicht richtig warm geworden. Die vielen Steigungen in der Altstadt machen es einem nicht leicht. Gerade wenn man weite Wege hat. Eventuell probiere ich mal ein Fahrrad mit einem Elektromotor und Fahrrad-Navi für entfernte Geschäftstermine — das wäre ein neuer Versuch.

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