Frust und Unkenntnis

28.9.2017, 21:13 Uhr

Die Spitzenwerte für die AfD bei der Wahl am Sonntag in ihrem Stadtteil enttäuschten Doris Hutter sehr. Dass auch Einwanderer, die in Langwasser leben, zu diesem Ergebnis beigetragen haben könnten, erklärt sich Hutter mit Mangel an Informationen: "Ich habe den Eindruck, dass viele Einwanderer wenig deutsche Zeitungen lesen. Wie viel sie über das Fernsehen und Radio mitbekommen, weiß ich nicht." Hutter leitet das Haus der Heimat in Langwasser, ein Begegnungsort für viele Landsmannschaften, darunter auch der Deutschen aus Russland.

Wie viele Russlanddeutsche die AfD zur Partei ihrer Wahl am Sonntag gemacht haben, kann Hutter nicht einschätzen. Was sie jedoch bei vielen gemerkt hat: "Es ist viel Unzufriedenheit da, viele unserer Kursbesucher zum Beispiel haben soziale Probleme." Bei älteren Menschen sind die Renten sehr niedrig. "Vielleicht neigt man dann eher dazu, die Gründe für diese Probleme auf die Schwächeren, etwa Flüchtlinge, zu schieben." Dieses Denkmuster lässt sich allerdings bei der einheimischen Bevölkerung genauso wiederfinden, betont die Leiterin.

Was aber vor allem bei älteren Aussiedlern zu spüren ist, ist ihre Prägung durch das frühere Leben in einer Diktatur. Diese Sozialisierung führt zum Teil dazu, dass manche dieser Menschen "am liebsten eine starke Hand hätten, die ihre eigenen Probleme löst". Hutter plädiert gleichzeitig zu einer differenzierten Wahrnehmung der Russlanddeutschen sowie anderer Aussiedlergruppen. Sie bleibt optimistisch: "Ich setze auf die junge Generation. Bei den jungen Menschen sehe ich keinen Unterschied zu den einheimischen Gleichaltrigen. Sie sind sehr aufgeschlossen."

Diese Erfahrung macht auch Sabine Arnold von der SinN-Stiftung, der evangelischen Seelsorge für russischsprachige Zuwanderer. "Bei den jungen Menschen spürt man viel mehr Offenheit." Die AfD konnte vor allem in den Stadtteilen punkten, wo Menschen eher im unteren Bereich der sozialen Skala stehen, analysiert Arnold. Wenn unter Russlanddeutschen jemand die AfD wählt, dann ist es laut Arnold meistens jemand, "der viel Frust hat, mit seiner Jobsituation unzufrieden ist, der das Gefühl des sozialen Abstiegs hat, gepaart mit mangelnder politischer Bildung".

Etwa 15 Prozent der Russlanddeutschen, mit denen Arnold zu tun hat, würde sie als empfänglich für die AfD bezeichnen. Bei gutsituierten Russlanddeutschen spürt man auch manchmal die Unsicherheit, aber sie sind überlegter, so Arnolds Beobachtung. "Russlanddeutsche sind traditionell konservativ, inzwischen eventuell mit einem Hang zur FDP." Arnold sieht den Bedarf an mehr politischer Bildung bei den Aussiedlern: "Viele haben keinen Durchblick, wie das politische System in Deutschland funktioniert, und kein Gespür dafür, dass man auf die politische Situation in Deutschland Einfluss nehmen kann und muss."

Begegnung hilft gegen Berührungsängste

Im Gemeinschaftshaus Langwasser sind weniger Russlanddeutsche, sondern vor allem jüdische Einwanderer aus den GUS-Ländern zugange. Dort arbeitet Iwona Lompart und ist vor allem für interkulturelle Angebote zuständig. "Unser Publikum redet nicht offen über Politik", sagt Lompart. Auch bei jüdischen Migranten beobachtete Lompart eine zurückhaltende Stellung gegenüber Flüchtlingen. Lompart sieht die sozialen Faktoren als einer der Gründe für ihre Sympathien für die AfD. "Viele ältere Einwanderer müssen ums Überleben kämpfen und meinen, es reicht für sie schon nicht mehr." Auch die kulturellen Unterschiede machen einigen zu schaffen, so Lompart: "Die Einwanderer, die schon länger hier leben, haben sie schon einmal überwunden. Jetzt besteht wieder die Herausforderung, zusammenzukommen." Was Menschen mit Einwanderungsgeschichte brauchen, neben der Lösung ihrer sozialen Probleme, ist die gesellschaftliche Anerkennung und genügend Möglichkeiten der Begegnung – so auch mit Flüchtlingen, ist Lompart überzeugt. "So kann man die Berührungsängste abbauen. Das ist auch Teil unserer Arbeit."

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