Gehörlose lernen Kämpfen

7.12.2014, 20:25 Uhr
Gehörlose lernen Kämpfen

© Foto: Horst Linke

Sie sind die ersten von zehn Frauen mit Handicap, die an fünf Abenden lernen und üben sollen, sich gegen körperliche Angriffe kraftvoll und selbstbewusst zur Wehr zu setzen. Konzentriert verfolgen die Teilnehmerinnen den Vortrag der Kampfsportprofis und die Erläuterungen von Gebärdendolmetscherin Teresa Vona.

Mit Ayhan Bostanci und Praves Zeis unterstützen zwei weitere Trainer die Übenden. Sie zeigen ebenfalls, wie man auch ohne überragende körperliche Kräfte einen Würgegriff löst, indem ein Arm gestreckt und der Gegner durch eine Drehung abgewehrt wird.

Susanne S. zum Beispiel, eine Handwerkerin aus einem Ort bei Lauf, fühlt sich bereits nach den ersten Übungsabenden deutlich sicherer. Es gebe keinen konkreten Anlass, sie habe selbst noch keine Gewalt erfahren, sagt sie. Doch ihr Lebensgefährte habe ihr zur Teilnahme geraten, damit sich beide sicherer fühlen.

Judit Nothdurft, die ein Portal für Gehörlose betreibt, war aufgefallen, dass es für Menschen, die nicht hören können, nur sehr wenige Kurse gibt. Und sie war auf eine Bundesstudie gestoßen, nach der gehörlose Frauen am häufigsten von sexueller und körperlicher Gewalt betroffen sind. 75 Prozent der Befragten hatten angegeben, körperliche Gewalt erfahren zu haben. Um gehörlose Frauen auf Gewaltsituationen vorbereiten zu können, hat Nothdurft das Konzept für diesen Selbstverteidigungskurs entwickelt. Umgesetzt werden konnte er erst durch die Unterstützung des „Bezirksverbands der Gehörlosen Mittelfranken“ und das Geld der „Glücksspirale“, die 80 Prozent der Kosten übernahm.

Eigenen Körper einsetzen

Die Frauen zahlten einen Eigenanteil von 40 Euro für die fünf Übungsabende. Ob es eine weitere Auflage dieses Trainings geben wird, hängt laut Organisatorin vor allem von der Finanzierung ab.

Die Begeisterung und der volle Körpereinsatz aller Trainierenden sind jedenfalls überwältigend — auch für die Trainer. Von ihnen lernen die Frauen, den eigenen Körper wirkungsvoll einzusetzen sowie gefährliche Situationen zu erkennen, zu vermeiden oder zu entschärfen. Dass im Notfall nahezu alles erlaubt ist, um sich zu wehren, das macht der Ausbilder und Personenschützer Peter Althof an Gegenständen deutlich wie Schlüsselbund, Spraydose — und einer Ausgabe der Nürnberger Nachrichten: Zur Rolle geformt, wird sie zum verlängerten Arm.

Dass bei diesem Kurs Frauen Techniken für den Ernstfall lernen können, findet Teilnehmerin Susanne Pöllmann besonders gut. Es sei etwas ganz Besonderes, was es so noch nicht gegeben habe. „Die meisten Sport- und Fitnesskurse bleiben uns verschlossen, weil es keine Dolmetscher gibt.“ Das Angebot für Gehörlose sei sehr eingeschränkt, macht sie auf ein Problem aufmerksam, über das Hörende wohl nur sehr selten nachdenken.

„Ich habe so viel mitnehmen können, es war ein Traum. Ich wünsche mir noch mehr solcher Kurse“, übersetzt die Dolmetscherin Pöllmanns Gebärden. Die 46-Jährige, die in Nürnberg im Elektrobereich arbeitet, wünscht sich, dass ein solcher Kurs zur Selbstverteidigung künftig regelmäßig angeboten wird.

Dann geht es wieder an die schweißtreibenden Übungen: kräftige Faustschläge auf Polster, ein mutiger Griff in die Haare des Angreifers, um ihn dann mit dem Ellenbogen abzuwehren; dem Gegner geschickt ein Bein stellen, so dass der Gegner darüber stolpert und erst einmal ablässt von seinem Angriff.

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