Gotteshaus, Lagerschuppen, Trümmerhaufen

6.10.2014, 09:00 Uhr
Gotteshaus, Lagerschuppen, Trümmerhaufen

© Archiv der Altstadtfreunde

Nur eine schlichte Metallplatte erinnert heute an den Ort, an dem bis zum 3. Oktober 1944 die Moritzkapelle stand. Mit der Kapelle wurde auch eines der damals berühmtesten Nürnberger Wahrzeichen, das Bratwurstglöcklein, von den Bomben in Schutt und Asche gelegt.

Die meisten Menschen laufen achtlos über die Sandsteine hinweg, die symbolisch die einstigen Umrisse der Kapelle auf dem Sebalder Platz umfassen. Die Blicke von Touristen und Einheimischen schweifen hinauf zur Sonnenuhr am Schürstabhaus oder zur prachtvollen Fassade der Sebalduskirche. Wenige lesen die eingravierte Inschrift auf dem flachen Stolperstein: „Hier stand die Moritzkapelle mit dem Bratwurstglöcklein von 1313 bis zur Zerstörung im Krieg 1944. Ihr Wiederaufbau bleibt künftigen Generationen vorbehalten.“

Bei einer Zeitreise 70 Jahre zurück würden die Flaneure eine gotische Backsteinkapelle sehen, an deren Seitenwand eine kleine Bratwurstküche mit barock geschwungenem Halbgiebel angebaut ist. Aus dem Schornstein qualmt es permanent. Ein Muss für alle damaligen Besucher, neben Burg und Dürerhaus, einmal hier eine der original Nürnberger Bratwürste zu essen. In Massen drücken sie sich hinein in die enge Stube, in der angeblich alle großen Nürnberger Geister schon gespeist hatten. Es war eine der Garküchen der Stadt, denen das Recht zustand, Stadtbiere auszuschenken, und die weiter begünstigt waren, Schweine zu schlachten, das Fleisch zu verkochen und Bratwürste zu braten.

Keine Chance für Wiederaufbau der Moritzkapelle

Heute trauern der Moritzkapelle zumindest noch die Altstadtfreunde nach. Ihr damaliger Vorsitzender Erich Mulzer startete 1994 eine Initiative, der sich dann auch der spätere CSU-Oberbürgermeister Ludwig Scholz anschloss, um den Wiederaufbau zumindest anzudenken. In Dresden war man gerade dabei, ein derartig ambitioniertes Projekt anzugehen, die Frauenkirche sollte für 160 Millionen D-Mark wieder aufgebaut werden. Doch die Idee in Nürnberg verpuffte, obwohl hier geschätzte fünf Millionen gereicht hätten. Angeblich wollte sich auch der Verleger Günther Oschmann die Sicht auf sein aufwändig saniertes Schürstabhaus nicht durch die Kapelle davor zustellen lassen.

1998 wurde entschieden, zumindest den Platz nicht zuzubauen und damit eine Option offen zu lassen, falls irgendwann einmal jemand den Wiederaufbau ernsthaft ins Auge fassen wollte. Auch Scholz hatte sich von der Idee verabschiedet.

„Schön wäre ein Wiederaufbau aus unserer Sicht schon, denn damit wäre der Platz wieder geschlossen, es ist eine Lücke im Stadtbild“, meint Michael Taschner von den Altstadtfreunden. Doch er sieht derzeit keine realistische Chance dafür. „Die Bürger sind emotional mit der Kapelle bei weitem nicht so verbunden gewesen wie mit den großen Kirchen, die Kapelle war ja schon lange profanisiert.“

Gotteshaus, Lagerschuppen, Trümmerhaufen

© Ralf Rödel

Begonnen hat die Geschichte des Ensembles vor mehr als 700 Jahren. Am 6. September 1313 erlaubte der Bamberger Bischof Wulfing von Stubenberg, die Moritzkapelle auf den Friedhof der Sebalduskirche zu übertragen. Denn dort wurde munter Handel getrieben, was durch den Bau der Kapelle unterbunden werden sollte. Vorher könnte die Moritzkapelle im Judenviertel gestanden haben, das sich wahrscheinlich über den ganzen Obst- und Hauptmarkt bis zur Martin-Treu-Straße hingezogen hat. Gestiftet wurde das kleine Kirchlein von der Familie Mendel, einer der 20 alten Familien des Patriziats. Denn da Nürnberg nie Bischofssitz mit den entsprechenden Einnahmen war, wurden die Kirchenbauten von den Bürgern finanziert.

Die Kapelle war 28 Meter lang und acht Meter breit, mehr als eine schlichte Friedhofskapelle, aber klein im Schatten der mächtigen Sebalduskirche.

Mit der Einführung der Reformation 1525 verlor die Moritzkapelle ihre Zweckbestimmung. Sie wurde nur wenig und schließlich gar nicht mehr zu kirchlichen Zwecken genutzt. Am Ende diente sie als Weinlager, praktisch für die Händler am nahen Weinmarkt. Als Folge kam das Kapellchen herunter, innen wie außen.

Erst 1611, als der fürstliche Kollegialtag nach Nürnberg einberufen wurde, schämten sich die Stadtoberen doch. Sie wollten mit der heruntergekommenen Kapelle direkt neben der Sebalduskirche bei den katholischen Bischöfen, Prälaten und Herren keinen Anlass zum Ärger geben. So wurde schnell ein Potemkinsches Dorf bestellt: Man entfernte die Weinfässer und ließ die Kapelle außen tünchen. Die Arbeiten begannen am 4. September und waren schon am 30. September fertig. Flott die Außenmauer mit neuem Mörtel beworfen, geweißt, im Mauerwerk ausgebessert und aufgehübscht, blieb innen alles beim Alten. Ein Zeitgenosse dokumentierte dies in einer Inschrift über der Kapellentür: „Die Cappeln steht in Gottes gewalt, Ist außen Neu und innen Alt.“ Die Moritzkapelle diente in der folgenden Zeit wechselnden Zwecken. So war sie Lagerschuppen, städtisches Aktenmagazin, später Ausstellungsraum der königlichen Gemäldegalerie bis zu deren Umzug ins Germanische Nationalmuseum 1882.

Ab 1925 nutzte sie die Sebalder Gemeinde als Saal, noch 1941 wurde eine neue Orgel eingebaut. Am 3. Oktober 1944 um 10.53 Uhr heulten in Nürnberg die Sirenen und kurz nach elf Uhr am Vormittag fielen die ersten Bomben. Ein Volltreffer erwischte die Moritzkapelle, die mitsamt dem Bratwurstglöcklein zu einem Haufen aus Steinen und Staub zerbarst. Nicht einmal das Glöcklein der Bratwurstküche wurde gerettet, so unerwartet kam der Angriff. Einzig eine Prophetenstatue aus der Kapelle ist im Germanischen Nationalmuseum erhalten. Die vorsorglich von den Altstadtfreunden angefertigte Kopie wartet bis heute auf einen angemessenen Platz. Doch der Wiederaufbau ihres angestammten Ortes bleibt wohl den kommenden Generationen vorbehalten.

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