Göttingen geht voran: Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen

2.12.2015, 07:59 Uhr
Göttingen geht voran: Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen

© Eduard Weigert

Frau Linkersdörfer, schlafen Sie besser, seit in Göttingen Tempo 30 zwischen 22 und 6 Uhr gilt?

Ulrike Linkersdörfer: Ich habe Glück, ich wohne in einem reinen Wohngebiet.

Und die Anwohner dieser Achsen?

Linkersdörfer: Die waren froh, als Tempo 30 vor einem Jahr eingeführt wurde. Aber es gab auch Proteste; vorwiegend von denen, die schon frühmorgens im Berufsverkehr unterwegs sind.

Halten die sich denn jetzt dran?

Linkersdörfer: Es gab Messungen auf der Geismarer Landstraße, auf der täglich 17 000 Fahrzeuge unterwegs sind. Danach haben sich die meisten an die nächtliche Geschwindigkeitsbegrenzung gehalten. Aber wir haben schon im Vornhinein gesagt, dass wir mindestens ein Jahr abwarten müssen und dann die Erfahrungen auswerten.

Welche ist die wichtigste Erfahrung bisher?

Linkersdörfer: Im Moment beschäftigt uns die rechtliche Seite am meisten. Das niedersächsische Verkehrsministerium, das für die Auslegung der Straßenverkehrsrichtlinien zuständig ist, verlangt, dass Göttingen Tempo 30 auf der Reinhäuser Landstraße wieder aufhebt. Als Hauptstraße ist sie eine Umleitungsstrecke für die Autobahn A7 und die Geschwindigkeit darf dort nach Ansicht der Behörde nicht allein aus Lärmschutzgründen eingeschränkt werden. Die Entscheidung steht aus – bis dahin ist hier alles gestoppt.

Wie kam es überhaupt zu Ihrem Vorstoß?

Göttingen geht voran: Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen

© PR

Linkersdörfer: Das Büro LK Argus hat im Rahmen des Lärmaktionsplans verschiedene Strecken untersucht und ein Gutachten erstellt. Ergebnis war eine Prioritätenliste: Wo sind die meisten Bürger vom meisten Lärm betroffen? Der Entwurf ging in den Rat der Stadt und wurde – leicht modifiziert – umgesetzt.

Mehr Autos, mehr Lärm – darf man diese Gleichung aufmachen?

Linkersdörfer: Nur ganz grob. Wie viel Lärm tatsächlich entsteht, hängt auch davon ab, wie viele Ampeln es gibt, wie hoch die gefahrene Geschwindigkeit ist und wie groß der Anteil des Lkw-Verkehrs. Im Durchschnitt ist ein Lkw bei Tempo 50 so laut wie 20 Pkw, da gibt es schöne Grafiken zu. Wegen der tatsächlichen Belastung mussten wir in der Reinhäuser Landstraße noch einmal nachzählen. Die Werte, die wir nach den Vorgaben des Lärmaktionsplans ermittelt hatten, reichten dem Bundesverkehrsministerium nicht aus.

Was kam dabei heraus?

Linkersdörfer: Wir haben eine Woche lang durchgezählt und kamen auf erheblich weniger Fahrzeuge als angenommen. Statt 20 000 nur 16 000. Natürlich spielt für die Lärmbelastung auch eine Rolle, wie groß die Abstände zur Bebauung sind, sprich wie nahe die Autos am Schlafzimmer der Anwohner vorbeifahren.

Warum wollte Göttingen unbedingt die Tempo 30-Beschränkung?

Linkersdörfer: Weil sie ein elegantes und kostengünstiges Mittel ist, um Lärm zu mindern. Städte wie Frankfurt oder Berlin haben damit eine Reduzierung um 1,5 beziehungsweise 2,5 Dezibel erreicht. Ab zwei, drei Dezibel ist die Veränderung deutlich hörbar. Als Stadt haben wir natürlich auch andere Möglichkeiten, wie Flüsterasphalt, der sehr teuer ist, oder wir können Busse umleiten. Auch hier muss das Für und Wider abgewogen werden: Wenn dadurch der öffentliche Nahverkehr langsamer wird, steigen die Fahrgäste wieder aufs Auto um. Das gilt übrigens auch für Tempo 30. Unser Gutachten sagt aber, dass der Reisezeitverlust beispielsweise in der Reinhäuser Landstraße minimal ist.

Heißt das, Göttingen würde gern weitere Strecken als Tempo 30-Zone ausweisen?

Linkersdörfer: Es gibt einen Ratsbeschluss, dass die Ausweitung zum Beispiel auf die Kasseler Landstraße geprüft werden soll. In den Ortsbeiräten kriegt man das auch mit: „Warum nicht in unserer Straße auch?“, fragen die Bürger. Und bei der Einführung hatten Anwohner gedrängt: „Wann werden die Schilder endlich bei uns aufgestellt?“ Wir warten deshalb gespannt auf die Entscheidung des Landes Niedersachsen und schauen auch, wie sich andere Länder in der Tempo 30-Frage verhalten.

 

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