Haben Sie vor der Urlaubsreise an alles gedacht?

26.7.2017, 07:59 Uhr
Haben Sie vor der Urlaubsreise an alles gedacht?

Frau Kunz, kennen Sie das auch? Der Koffer ist gepackt und trotzdem überlegt man fieberhaft, was noch fehlt.

Julia Kunz: Natürlich! Ich bin zwar Gedächtnistrainerin, aber mein Gehirn arbeitet wie das aller Menschen. So kurz vor den Ferien sind viele im Stress: Vor dem Urlaub soll noch die letzte Arbeit fertig werden, die Kinder quengeln schon und die Reise muss noch vorbereitet werden. Da ist das Gehirn gefordert – und oft überfordert.

 

Wie helfen Sie sich?

Kunz: Für Dinge, die ich selten tue, benutze ich Checklisten. Dabei schaue ich zuerst immer: Gibt es schon etwas? Manche Reiseveranstalter geben einem Checklisten an die Hand, oft findet sich etwas in Zeitschriften und im Internet wird man immer fündig. Was andere schon gedacht haben, muss ich nicht mehr selbst erfinden – kann es aber an meine eigenen Bedürfnisse anpassen.

 

Und wenn man Listen nicht mag?

Kunz: Mein Lieblings-Werkzeug ist die Mindmap. Für den Familienurlaub nehme man ein großes Blatt oder auch einen Karton – mindestens A 3. Das klebt man daheim an einen zentralen Platz und schreibt in die Mitte zum Beispiel "Frankreich" – also das Reiseziel. Und wie Strahlen von der Sonne ausgehen, schreiben Papa, Mama und Kind an ihren Strahl, was sie jeweils mitnehmen wollen. Man kann auch andere Oberbegriffe nehmen: Auto zum Beispiel, Strand und Sehenswürdigkeiten — und jeder notiert, was er machen will oder dabeihaben muss. Wenn einem noch etwas einfällt, einfach dazuschreiben.

 

Klingt wie ein langfristiges Projekt?

Kunz: Am besten ist es, wenn man vier Wochen vor dem Urlaub anfängt, denn der Blick auf die Mindmap steigert auch die Vorfreude. Aber es ist nie zu spät.

 

Eine Liste könnte man einfach ab
haken . . .

Kunz: Ich selbst zähle mich zu den "kreativen Chaoten". Bei mir ist es eher so, dass To-do-Listen immer nur halb fertig werden oder dass ich vergesse, sie anzuschauen. Die "logischen Ordner" dagegen lieben Listen. Dank Zeitmanagerin Cordula Nussbaum, die die Begriffe geprägt hat und bei der ich autorisierte Trainerin bin, weiß ich aber inzwischen: Ich bin nicht zu blöd für die Listen, ich ticke nur anders.

 

Viele schreiben ja To-do-Listen für die Arbeit, für die Schule oder den Haushalt.

Kunz: Nur, dass im Beruf manchmal die Arbeitgeber vorgeben, wie die Gedächtnisstützen aussehen sollen. Da darf man keine "Post-its" schreiben, die ich persönlich so sehr liebe. Sondern die Liste muss im Computer geführt werden, weil auch die Kollegen Zugang dazu haben sollen. Das sind Zwänge, denen wir uns unterwerfen müssen. Aber dies kann man auf die persönlichen Präferenzen zuschneiden: Man kann mit Farben spielen, mit Symbolen oder auch Fotos. Wichtig ist, was für den jeweiligen Menschen gut ist — und nicht ein generelles "So macht man das!".

 

Inzwischen sind wir umgeben von elektronischen Helfern: Der Kalender im Smartphone, das Navi im Auto — und der Thermomix kennt die Rezepte. Wird das Gehirn nicht träge?

Kunz: Dazu ein klares Jein! Prinzipiell finde ich die Unterstützung gut, aber man sollte sich nicht ausschließlich darauf verlassen. Unser Gehirn möchte ja arbeiten. Wenn es nichts zu tun hat, langweilt es sich und die Verbindungen zwischen den Synapsen werden abgebaut und verkümmern.

 

Was bedeutet das für Sie?

Kunz: Ich brauche natürlich einen elektronischen Kalender, um Arbeit, Kinder und Freunde unter einen Hut zu kriegen. Aber ich tippe zum Beispiel die Telefonnummern meiner Kinder und von wichtigen Kunden immer bewusst ein, statt sie bequem aus dem Verzeichnis zu holen, und verzichte auf ein Navigationsgerät im Auto. Denn ich will wissen, wohin ich fahre und wie die Entfernungen sind. Ich habe einen mäßig ausgeprägten Orientierungssinn und bin dann manchmal gestresst – aber wenn ich, wie kürzlich, bei Nacht meinen Weg durch Oberbayern finde, erlebe ich ein totales Hochgefühl.

 

Sie interessieren sich so für das menschliche Gehirn, dass Sie nebenberuflich den Masterstudiengang "Kognitive Neurowissenschaft" absolvieren. Was ist das Faszinierendste für Sie?

Kunz: Dass unser Gehirn unglaublich formbar ist und auch paradox: Je mehr ich hineinstecke, desto mehr Platz gibt es. Wenn wir lernen und neugierig durch die Welt gehen, entstehen neue Verbindungen zwischen den Zellen und alte werden gestärkt.

 

Es heißt immer, man könnte das Gehirn trainieren wie einen Muskel?

Kunz: Für mich ist das Bild stimmig, obwohl im Gehirn keine Fasern trainiert werden, sondern Netzwerke zwischen Millionen von Zellen geknüpft werden. Aber es ist klar: Wenn ich den ganzen Tag vorm Fernseher sitze und mich berieseln lasse, werden keine neuen Verknüpfungen gebildet. Wenn ich eine fremde Sprache lerne oder mein Wissen anders erweitere, dagegen schon.

 

Wenn man im Urlaub nur am Strand liegt oder durch den Wald spaziert, hängt auch das Gehirn ab und man wird angeblich dümmer. Stimmt das?

Kunz: Das bezweifle ich. Dauerstress ist auf lange Sicht schädlich, deshalb ist es wichtig, dass sich das Gehirn erholen kann. Wer in ein anderes Land reist oder an die Nordsee fährt, erlebt einen Tapetenwechsel. Er findet sich in anderer Umgebung wieder und lernt neue Menschen kennen. Das ist gut, auch für das Gehirn. Denn der Hippocampus, der im Gedächtnis die Informationen filtert, liebt Neues und Aufregendes. Er ist so etwas wie der Türsteher. In seine hippe Disco lässt er nur die interessantesten Gäste hinein — den mit dem quietschgelben T-Shirt zum Beispiel. Und wenn die nächsten gelben T-Shirts kommen, schickt der Türsteher sie gleich nach hinten links zu ihrer Gruppe. Wer sich zum Beispiel für Kunst interessiert und am Urlaubsort in eine Ausstellung geht, hat dann das Gefühl: "Ah, ich weiß schon was!".

 

Bedeutet das auch, den Reiseführer nicht erst im Flugzeug zu lesen?

Kunz: Noch besser wäre, ihn durchzulesen und eine Mindmap zu malen. Sie sehen: Um die Mindmap kommt bei mir keiner herum!

GABI KOENIG

@Kontakt: www.die-gedaechtnistrainerin.de

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