Hexenfestspiele: "Hänsel und Gretel" im Opernhaus

4.11.2014, 13:47 Uhr
Hexenfestspiele:

© Foto: Staatstheater/ Missbach

Die Villa, aus der während des Vorspiels fast alle Möbel gepfändet werden und ein Wagner-Porträt von der Wand genommen wird, erinnert mit ihrer angedeuteten Rotunden-Apsis zudem sehr stark an die
Villa Wahnfried in Bayreuth. Und ähnliche Kugellampen wie die Deckenleuchte hängen im Festspielhaus.

Lediglich eine „Oper für Anfänger“ zu sein – damit gibt sich diese Inszenierung, die am Sonntag im Nürnberger Opernhaus Premiere feierte, also nicht zufrieden. Baesler versetzt „Hänsel und Gretel“ nicht nur in ihre Entstehungszeit, er verweist mit dem speziellen Spielort auf die Tatsache, dass ihr Schöpfer Engelbert Humperdinck seinerzeit Richard Wagner bei den Proben für die Uraufführung des „Parsifal“ 1882 in Bayreuth assistiert hat.

Wagner lebte und arbeitete damals in Wahnfried, vor ein paar Jahren hat Regisseur Stefan Herheim bei den Wagner-Festspielen dieses Alters- und Erlösungswerk des Komponisten in das imaginative Dreieck von Festspielhaus, Wahnfried und Wagner-Grab versetzt. Darin ließ er den jungen Parsifal nicht nur den Tod seiner Mutter, sondern auch die ganze angsteinflößende Pädagogik einer Erziehung im Kaiserreich erleben.

In Baeslers Version von „Hänsel und Gretel“ hinkt von Anfang an eine grimmige Gouvernante durch die bedeutungsschwere Szenerie, in der als Requisiten nicht viel mehr als ein Stockbett, ein Kamin und ein Christbaum übrig geblieben sind. Wenn sie den Bühnenboden mit einem Reisigbesen fegt, ahnt man als Zuschauer schon früh, was es mit dieser verhärmten Frau auf sich haben könnte.

Der Vater ist in Konkurs gegangen

Peter, der Vater von Hänsel und Gretel, ist hier zum – frisch in Konkurs gegangenen – Besenfabrikanten mutiert. Jochen Kupfer spielt ihn mit ergrauten Haaren, Bartschatten und Schnapsflasche in der Hand mit mehr dröhnendem als nuanciertem Bariton als unberechenbaren Hausherrn, der zudem angetrunkene Sorglosigkeit verbreitet. Solcher Spaß geht Ekaterina Godovanets als Mutter ab, wenn sie mit ihrem messerscharfen Sopran in das Puppenspiel ihrer beiden Kinder fährt. Von der Garderobe her wahrt sie die Fassade noch, ansonsten ist da bei ihr ebensoviel Erschöpfung wie Lieblosigkeit.

Baesler hat sich für seine Inszenierung also ebenfalls von der bedrückenden Gefühlskälte einer großbürgerlichen Erziehung im Kaiserreich inspirieren lassen. Umso wichtiger ist es, dass die beiden Titelpartien einen starken Gegenpol bilden. Und es ist einfach mitreißend, wie das neue Ensemblemitglied Silvia de La Muela als Hänsel und Michaela Maria Mayer als Gretel in die Rolle der beiden so lebenslustigen wie eigenwilligen Kinder schlüpfen. Nebenbei meistern sie auch die nicht geringen gesanglichen Anforderungen ihrer Partien sehr überzeugend. Vor allem aber wirkt es niemals künstlich oder aufgesetzt, wenn sie mit ihren Puppen spielend den Hunger zu vergessen versuchen und dann in der nachtdunklen Villa ihre Ängste beruhigen.

Dort hat Csilla Csövári in der Partie des Sandmännchens einen gruseligen Auftritt als staksige Harlekinfigur, während Baesler hier wie bei einer parsifalesken Verwandlungsmusik Wände und Dach von Wahnfried öffnet und den Wald als Traumvision in die Szenerie hereinbrechen lässt. Und während bei Herheim die Erwachsenen als schwarzbeflügelte Engelsfiguren durch die Szenerie huschen, sind die 14 Geister, die Hänsel und Gretel im Traum erscheinen, hier kalkweiß und tragen historische Kostüme unterschiedlichster Epochen.

Es ließen sich noch einige Wagner-Anspielungen aufzählen, sie ändern nichts an der Feststellung, dass der Brückenschlag zu Wahnfried und ins 19. Jahrhundert zwar für stimmungsvolle Szenen sorgt, aber für Humperdincks Märchenoper letztlich doch keinen weiteren Erkenntnisgewinn bringt.

Entscheidend ist vielmehr, dass das bekannte Geschehen rund ums Hexenhaus – das hier durch ein kleines Spielzeugmodell symbolisiert wird – amüsant gespielt wird, woran auch Leila Pfister als exaltiert groteske Hexe mit komödiantisch eingefärbter Stimme einen entscheidenden Anteil hat.

Nachdem sie von Hänsel und Gretel in den Ofen gestoßen wurde und der Jugendchor des Lehrergesangverein (disponiert von Barbara Labudde) als Lebkuchenkinder mit geisterhaft-ätherischem Höhengesang erschienen ist, versammeln sich zum Happy End alle um Papa Peter, der im Sessel
sitzt und das Märchen aus einem dicken Buch vorliest. Auf dem steht dann aber doch Grimm und nicht Wagner.

Auch Guido Johannes Rumstadt beherzigt als Dirigent dieser Aufführung, dass auf der Partitur nicht der Name Wagner steht, obwohl Klangfarben, Instrumentierung und Harmonien reichlich Anklänge an den Bayreuther Meister enthalten. Rumstadt entscheidet sich mit der Staatsphilharmonie Nürnberg aber zum Glück gegen zu viel spätromantische Feinstofflichkeit und jedes Weihepathos. Stattdessen findet er einen farbigen, immer vorwärtstreibenden, auch mal knalligen Zugriff, in dem die vielen Kinderlied-Zitate organisch aufgehen.

So munter wie Hänsel und Gretel auf der Bühne spielen, so quicklebendig klingt es aus dem Orchestergraben. Diese Nürnberger Inszenierung hat Charme und Witz – und das Wichtigste: Sie funktioniert auch ohne Wagner-Vorkenntnisse, kann also das jüngere Publikum ebenfalls bestens unterhalten. Viel Beifall für alle Beteiligten.

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