Im Knast beginnt jetzt die Ostersaison

2.12.2011, 19:31 Uhr
Im Knast beginnt jetzt die Ostersaison

© Michael Matejka

„Weihnachten is’ g’loffen“, sagt Ulla Mörtel-Then und fordert Ideen für Ostern. „Ihr eigenes Hirn“ sollen die Gefangenen anstrengen, sagt sie resolut. Hinter den dicken Mauern der Justizvollzugsanstalt beginnt vor Weihnachten die Ostersaison – ebenso wie draußen, in den deutschen Schokofabriken, in denen derzeit die Kakaomasse in Hasengießformen fließt.

Zeit für Adventskalender war im August. Nun produziert die Schneidermeisterin mit ihren Gefangenen Schmuck für Osten und Dekorationsartikel für die anstehenden Konfirmationen und Kommunionen. Ein Geschäft, das die 47-Jährige in ihrem Kirchensprengel angeleiert hat.

1,60 Euro pro Stunde

Auch eine Plüschratte soll entworfen werden, für die Kriegskindernothilfe. „Niedlich soll die sein“, sagt die Schneiderin, denn die Tiere, vor denen sich sonst so viele ekeln, gelten in Ländern wie Kolumbien auch als Hoffnungsträger. Dank ihres hervorragenden Geruchssinnes werden sie als Minen-Spürratten eingesetzt. Dafür ein Maskottchen zu entwerfen, ist ein schöner Auftrag und für die Männer hinter Gittern willkommene Abwechslung vom Knastalltag.

In der Schneiderei beginnt der Tag um sieben Uhr, Feierabend ist um 16 Uhr, der Stundenlohn beträgt 1,60 Euro, am Freitag ist ab Mittag Schluss. Doch auf das Wochenende freut sich keiner der Gefangenen – wie ein 18-Jähriger bestätigt. „An Tagen ohne Arbeit steht die Zeit still.“ Und Weihnachten hinter Gittern, das ist besonders hart.

Kurzer Heiligabend

Besucher dürfen am Montag, Mittwoch und Freitag in die JVA kommen und jeden ersten Samstag im Monat, eine Sonderregelung für die Feiertage gibt es nicht, und auch am 24. Dezember fallen spätestens um 20 Uhr die letzten Türen zu den Zellen ins Schloss. „Wir haben nicht genug Personal für zusätzliche Besuche“, bedauert JVA-Chefin Renate Schöfer-Sigl.

Sie weiß, wie sich Familienväter während der Feiertage fühlen; oft genug hat sie Männer, die sich härter geben als sie sind, weinen sehen, weil ihre Frau und die Kinder wieder einmal allein Weihnachten feiern.

„Jeder macht sich an Heiligabend so seine Gedanken“, sagt sie und erinnert sich an die jungen Männer, die sie, bevor sie in der Nürnberger JVA ihren Dienst antrat, im Jugendgefängnis Ebrach betreute. Rohlinge, die kaltherzig andere verprügelten, Jugendliche, die teils aussahen wie Buben und doch seit ihrer Kindheit gewalttätig sind. Viele von ihnen bekamen nicht einmal an den Tagen vor Weihnachten Besuch. „Die Jugendlichen fühlen sich schon sehr verlassen“, sagt sie. Doch warum sollten die Eltern auch kommen, in den Jahren vorher achteten die wenigsten auf das Wohl ihres Kindes oder setzten ihm Grenzen. „Wir haben nicht viele, die aus einem gutbürgerlichen Haus kommen“, sagt Renate Schöfer-Sigl.

Vor einem Jahr hat sie in der Nürnberger JVA Arbeitsplätze für Jugendliche eingerichtet, um sie aus ihrem Trott herauszuholen. Arbeitstherapie nennen sich die Stunden zwischen sieben Uhr morgens und 16 Uhr nachmittags. Werner Hollubarsch-Schmidt (56) betreut die jungen Männer. Er steht geduldig und kritisch hinter ihnen und wird schon mal „Papa Werner“ genannt.

Nachdenkliche Zeit

„Wenn Sie mein Vater wären, wär’ aus mir vielleicht doch was geworden“, hat mal ein junger Mann zu ihm gesagt. Werner Hollubarsch-Schmidt schluckt. Wer ihm Sozialromantik und Kuschelpädagogik vorwirft, sollte sehen, wie hingebungsvoll die Rabauken und Rüpel an filigranen Fensterbildern und Holzblumen schnitzen und feilen.

In der Weihnachtszeit, die im Gefängnis tatsächlich eher nachdenklich und ruhig ist, bringt er gerne Kuchen oder ein paar Päckchen Tabak mit, und Schneidermeisterin Mörtel-Then backt gerne mal mehr Plätzchen für „ihre Männer“. Zuletzt spendierte sie einige Adventskalender für ein paar Euro – und die Gefangenen machten Augen wie kleine Kinder. „Ich hatte noch nie einen Adventskalender“, zitiert Mörtel-Then einen der Männer, und es ist zu spüren, wie sie und ihr Kollege die Gleichgültigkeit, die Apathie, mit der den Gefangenen teils ihr Leben lang begegnet wurde, hassen.

Werner Hollubarsch-Schmidt gesteht, dass er nur selten in den Akten nachliest, was einen Gefangenen in die JVA brachte. Es gibt Taten und Täter, die erträgt er nicht, da fällt ihm Nichtwissen leichter. Und die Genese eines einzelnen Falls muss er nicht verstehen, um zu ahnen, dass häufig Eltern oder auch Behörden die Augen fest verschlossen hielten und nicht sahen, was da heranwuchs.

„Weihnachten hinter Gittern, das ist schon heftig“, sagt er. Doch als viel schlimmer erlebte er die Bitte eines Jugendlichen, „bitte nicht“ gehen zu müssen. Nicht vor Weihnachten.

Verwandte Themen


Keine Kommentare