In Nürnberg sitzt die einzige Graffiti-Akademie Deutschlands

25.4.2017, 15:28 Uhr
Die Teilnehmer können es kaum noch abwarten, endlich selbst Hand anzulegen.

© Eduard Weigert Die Teilnehmer können es kaum noch abwarten, endlich selbst Hand anzulegen.

In Nürnberg gibt es die einzige Graffiti-Akademie in Deutschland. Im Z-Bau bringt Carlos Lorente Nachwuchskünstlern innerhalb eines eintägigen Workshops die Grundtechniken der Kunst aus der Sprühdose bei. Die NZ hat mitgemacht.

Mein Kopf dröhnt. Vor lauter Dämpfen, die ich den Tag über eingeatmet habe. Vor Anstrengung, weil Kreativsein ganz schön viel Arbeit ist. Außerdem kündigt sich ein Muskelkater in meinem rechten Arm an: Eine Sprühdose zu halten, ist nicht so einfach, wie es aussieht. Am Ende des Tages spüre ich vor allem aber: Stolz – darüber, was ich innerhalb der vergangenen sechs Stunden Workshop geschaffen habe. Ein ansehnliches Graffito nämlich, das ich gerade auf einer großen Leinwand in den Händen halte. Und das, obwohl ich zu Beginn dieses Tages noch kaum Ahnung davon hatte.

Na ja, bis auf die Klischees eben: Bei Graffiti dachte ich bisher an junge Männer in weiten Klamotten, die illegal Häuser verschandeln. Dass es vielmehr als das ist, vermittelt Carlos Lorente in seiner „Style Scouts“-Graffiti-Akademie, wo er regelmäßig solche Kurse für Interessierte jeden Alters anbietet. Das sei in dieser Form bundesweit einzigartig. Am Anfang des Tages sitzen ich und fünf andere Teilnehmer noch schüchtern in einem kleinen Raum im Kulturzentrum Z-Bau: Es riecht nach Farbe, der Tisch in der Mitte ist voller Stifte, wir sind umzingelt von Staffeleien sowie bunten Bildern an den Wänden.

"Tags" und "Styles" der Sprayer

Zwar seien hässliche Schmierereien ein untrennbarer Teil von Graffiti, erklärt Lorente in seiner Theorie-Lektion, meistens jedoch stecke hinter den Schriftzügen eine Botschaft. Manche "Sprayer" wollen aber freilich einfach nur ihren Namen verewigen. So war es Ende der Sechziger in der Bronx in New York üblich – wo Graffiti seinen Ursprung hat –, als Anhänger der Hip-Hop-Szene ihr Kürzel mit Filzstift an die Wand kritzelten. Damit nahm das Phänomen seinen Lauf um die Welt. In den Achtzigern etablierte sich die Kultur in Deutschland, als Filme zu dem Thema in die Kinos gekommen waren.

Logo, dass auch wir als neugeborene Graffitikünstler einen "Tag" brauchen. Jeder solle sich einen Künstlernamen und einen "Style" ausdenken, gibt Lorente auf – er selbst nennt sich "Crow", die Krähe. Evelyn Rilling und Philipp Igel legen los: Sie zeichnen eckige und runde Formen auf einen Stapel weißer Blätter. Aus Evelyn wird „Ravy“ und Philipp macht sich zu "Fill" – im "Wild-Style" präsentiert. Ich merke sofort, die beiden haben Übung: Die 19-Jährige studiert Kunst und Medien und hat schon Logos entworfen. Design-Student Philipp hat einen Vorrat an Sprühdosen zu Hause – der sei aber unbenutzt, fügt der 21-Jährige hinzu. Für den Workshop ist das Pärchen aus Konstanz angereist.

Nürnberg hat aus künstlerischer Sicht "Nachholbedarf"

Und, wie finden sie Nürnberg, frage ich. Die Stadt sei super, nur aus künstlerischer Sicht habe sie noch Nachholbedarf. "Wir haben nicht viele schöne Graffiti entdeckt." Geht es nach der Stadt Nürnberg soll sich das bald ändern. Sie hat im März beschlossen, die Szene in der Stadt fördern zu wollen. Die Verantwortlichen stehen bereits in Kontakt mit Lorente, der zusammen mit anderen Künstlern, ein Konzept erarbeiten soll, wie diese Form der Jugendkultur mehr Flächen bekommen kann. Das sei auch unbedingt nötig, sagt der 38-Jährige.

Illegales Sprayen ist Sachbeschädigung. Das ist im Strafgesetzbuch § 303 geregelt: „Wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Plus teurer Reinigungskosten, betont Lorente, der seit 20 Jahren sprayt.

So, genug Theorie für heute, jetzt geht es an die Praxis. Die anderen können es kaum erwarten. Ich habe da noch eher gemischte Gefühle: Der Respekt vor der weißen Leinwand vor mir ist überraschend groß. Zuerst soll sich jeder ein Thema überlegen. "Ihr seid völlig frei!", ermuntert Lorente. Für mich ist das schnell klar: Eine Zeitung soll es werden. Lorente rät mir, diese im Ausschnitt und aus der Ich-Perspektive zu zeigen. Dank der Tipps ist die Skizze schnell aufs Papier gebracht. Bei der anschließenden Farbgebung gilt: "Umso einfacher, desto geiler wird’s." Zur Inspiration läuft im Hintergrund Grandmaster Flash – einer der ersten Rapper überhaupt. "Wenn die Tags jetzt nicht flutschen, dann weiß ich auch nicht", meint Lorente. Daneben ist nur das typische Quietschen der Filzstifte zu hören. Es herrscht kreative Konzentration, wir alle sind mit unseren Entwürfen beschäftigt. Jeder feilt hier noch etwas, baut dort noch ein Detail ein.

4000 Sprühdosen liegen in der Schatzkammer

Als alle damit fertig sind, geht es runter in den Keller: Hier lagern 4000 Sprühdosen. Als wir die Schatzkammer betreten, werden unser aller Augen groß. Wir dürfen uns nehmen, was immer wir für unser Kunstwerk brauchen. Vollgepackt mit Kisten voller Dosen in den verschiedensten Farbenmitsamt Staffeleien und Leinwänden richten wir uns im Innenhof des Z-Baus unsere kreative Insel ein.

Nun ist Üben auf Pappe angesagt. Linien auftragen, Ausmalen und Schattieren ist mit Sprühdose nicht einfach. Schon die Auswahl der Aufsätze, die den Sprühstrahl regeln, ist eine Wissenschaft für sich. Eine Kunst ist auch, den Zeigefinger mit dem richtigen Druck aufzusetzen. Genauso muss ich die Dose im richtigen Winkel zur Leinwand halten und den ganzen Körper einsetzen. Sonst gibt es Farbpfützen. Aus anfangs noch zaghaften Versuchen werden bald schnellere Bewegungen. Giftige Dämpfe liegen in der Luft. Deshalb haben wir Schutzmasken auf – mit dieser fühle ich mich ein bisschen wie der Bösewicht aus der Star-Wars-Saga.

Carlos rettet die Konturen

Schließlich ist es so weit: Die Leinwand wartet darauf, zum Kunstwerk zu werden. Ich verwende Kreppband zur groben Aufteilung, zeichne mit Filzstift feine Linien vor. Meine Skizze habe ich immer im Blick. Erst blaue, dann braune und rote Farben lassen langsam das Motiv erkennen. Als die Konturen nicht zu meiner Zufriedenheit gelingen, rettet Lorente das Bild gekonnt mit wenigen Handgriffen. Innerhalb einer Stunde kommt erst die Zeitung, dann eine Hand, ein Teller mit Croissant und zuletzt eine Kaffeetasse zum Vorschein. Kurz in die Sonne zum Trocknen gelegt, geht es auch schon an die letzten Feinheiten: Mit Markern umrande ich die „Outlines“ – das verleiht dem Bild einen Hauch mehr Hip-Hop-Charakter. Unddann ist es tatsächlich fertig, mein erstes Graffito!

Ein Blick in die Runde zeigt, dass an diesem Sonntag unterschiedliche Werke entstanden sind: Evelyn Rilling hat eine Farbstaffel gemalt, Philipp Igel ein Selbstporträt. Auch sie betrachten es und ihre Augen sind voller Stolz. Ja, die Leinwand werde definitiv einen Ehrenplatz bekommen.

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