Kameras im Gerichtssaal: Verkommt der Prozess zur Show?

4.1.2017, 06:00 Uhr
Live-Übertragungen aus dem Gerichtssaal? In Deutschland ist das bislang nicht möglich. (Symbolfoto)

© Nicolas Armer, dpa Live-Übertragungen aus dem Gerichtssaal? In Deutschland ist das bislang nicht möglich. (Symbolfoto)

Als Anders Behring Breivik am 24. August 2012 vom Osloer Bezirksgericht zu 21 Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt wurde, war die Welt live dabei: Über YouTube konnten Interessierte die Urteilsverkündung gegen den norwegischen Terroristen und Massenmörder, der am 22. Juli 2011 einen Anschlag auf ein Zeltlager auf der Insel Utøya verübte, verfolgen. Aber auch Gerichtsverhandlungen in den USA und Südafrika, zum Beispiel die Verfahren gegen O. J. Simpson oder Oscar Pistorius, wurden übertragen. Bis heute sind die Videos im Internet abrufbar.

In Deutschland ist eine Liveübertragung aus dem Gerichtssaal nicht möglich. Laut § 169 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) sind Bild- und Tonaufnahmen während der Gerichtsverhandlung verboten. Eine Ausnahme gibt es: Das Bundesverfassungsgericht lässt bereits seine Urteilsverkündungen im Fernsehen übertragen.

Darüber, ob diese 1964 erlassene Regelung noch zeitgemäß ist, scheiden sich die Geister: Vor allem Fernsehsender und Blogger fordern, dem medialen Wandel Rechnung zu tragen und Gerichtssäle für Kameras zu öffnen.

Nürnberger Verteidiger fordert Übertragung

Auch der Nürnberger Strafverteidiger Peter Doll hält eine filmische Dokumentation von Prozessen für sinnvoll, wenn sie der Wahrheitsfindung und Transparenz dient. Aufnahmen könnten hilfreich sein, wenn es Streit darüber gibt, was genau in einer Verhandlung gesagt wurde. Aus seiner langjährigen Praxis berichtete er, dass sich schriftliche Urteile manchmal vom mündlichen Tenor unterscheiden. Eine öffentliche Übertragung von Strafprozessen hält der Rechtsanwalt allerdings für gefährlich: "Dann verkommt das Verfahren zur Show."

Der Großteil der Diskussionsteilnehmer, darunter der Ansbacher Landgerichtspräsident Gerhard Karl, der Direktor des Fürther Amtsgerichts, Walter Groß, und die Vorsitzende des Deutschen Richterbundes und Justizsprecherin in München, Andrea Titz, beurteilen eine Lockerung der bisherigen Vorschriften skeptischer: Der Persönlichkeitsschutz von Angeklagten, Zeugen und anderen Prozessbeteiligten dürfe nicht aus dem Auge verloren werden. Vor allem Informationen, die über soziale Netzwerke abgesetzt werden, seien kaum kontrollierbar.

Andrea Titz glaubt auch, dass Videoaufzeichnungen den Charakter eines Strafprozesses ändern und Beteiligte sich vor der Kamera anders verhalten würden.

Die Münchner Richterin und Pressesprecherin hält auch das Vorhaben, Prozesse in andere Räume zu übertragen, für organisatorisch schwierig. Gerade an kleineren Gerichten fehle dafür die räumliche und personelle Ausstattung, so Titz. "Die Funktionsfähigkeit der Justiz muss Vorrang vor dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit haben", meint sie.

Das unterstützt auch Clemens Lückemann, Präsident des Oberlandesgerichts (OLG) Bamberg: "Das Verfahren findet in der Öffentlichkeit, aber nicht für die Öffentlichkeit statt. Ziel ist es, die Wahrheit zu finden, und das in einem geordneten Strafverfahren", so Lückemann. Auch er ist überzeugt davon, dass Angeklagte und Zeugen anders aussagen, wenn eine Kamera mitläuft. Der OLG-Präsident fordert, dass die bisherigen Regeln besser umgesetzt werden: "Vorsitzende Richter müssen besser durchgreifen", so Lückemann, der eine sofortige Beschlagnahme von elektronischen Geräten fordert, die für illegale Mitschnitte im Gerichtssaal verwendet werden.

Gesetzentwurf von Heiko Maas

Kameras in allen Gerichtssälen – das wird es auch in Zukunft nicht geben: Im August billigte das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas, der eine geringfügige Lockerung des bisherigen Verbots von Film- und Tonaufnahmen vorsieht. Übertragen werden sollen zunächst einmal nur Urteilsverkündungen der obersten Gerichte, also zum Beispiel des Bundesgerichtshofs.

Bei großem öffentlichen Interesse kann eine Übertragung für Medienvertreter und Zuschauer in benachbarte Säle möglich sein. Außerdem sollen Gerichtsverfahren von zeitgeschichtlicher Bedeutung aufgezeichnet werden können, so der Vorschlag des Ministers. Bei der Vorstellung seines Vorhabens sagte Maas: "Wir werden aus dem Gerichtssaal keine Showbühne machen." Die Medienübertagung solle im Einzelfall von der Zustimmung des jeweiligen Gerichts abhängen, so der Minister.

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