Kein Gewalttäter: Club-Fan siegt vor Gericht

14.9.2013, 07:00 Uhr
Bei dem tragischen Vorfall am Kölner Hauptbahnhof hat ein junger Club-Fan einen Arm verloren.

© dpa Bei dem tragischen Vorfall am Kölner Hauptbahnhof hat ein junger Club-Fan einen Arm verloren.

Fußball-Fans haben einen schlechten Ruf: Oft wird ihnen nachgesagt, sie seien manchmal unkontrollierbar, latent gewaltbereit und prinzipiell rüpelhaft. Die schlimmsten Fälle werden in der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) gesammelt, auffällige Fans sind dort registriert.

Doch die Datei wird äußerst undurchsichtig geführt und problematisch, wie das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen (OVG) gerade festgestellt hat, ist wohl vor allem die ZIS selbst - „eine schallende Ohrfeige für die Behörde“, merkt der Nürnberger Rechtsanwalt Jahn-Rüdiger Albert an.

Hintergrund ist ein tragisches Unglück. Im November 2011 reiste der damals 19-jährige Schwabacher Martin A. (Name geändert) zu einem Auswärtsspiel des 1. FC Nürnberg. Im Kölner Hauptbahnhof trafen Anhänger von Mainz05 und vom Club aufeinander. Es kam zu einer Rangelei, A. stürzte in ein Gleisbett, ausgerechnet, als ein Zug einfuhr. Eine Notoperation rettete ihm das Leben.

Kampf um den Ruf

Seither zieht er mit seinem Anwalt Albert von Gerichtssaal zu Gerichtssaal. Im Frühjahr 2013 saßen beide im Nürnberger Sozialgericht. Zehn Monate hatte A. ohne Armprothese auskommen müssen, weil das medizinische Hilfsmittel nicht mehr funktionierte. Ihre Pflicht, die Reparaturkosten der Prothese zu tragen, akzeptierte die Kasse erst vor Gericht.

Noch mühsamer gestaltet sich der Kampf um seinen Ruf. Denn am Tag nach dem schrecklichen Unfall war Martin A. als Hooligan in die Schlagzeilen geraten. Die Deutsche Presseagentur (dpa) berief sich damals auf Polizeiquellen und meldete trotz dürrer Faktenlage, dass ein Nürnberger Fußball-Hooligan bei einer Schlägerei einen Arm verlor.

Dabei hatten die Ermittlungen gerade erst begonnen, bis heute steht nicht fest, ob Martin A. überhaupt an dem Handgemenge beteiligt war. Die Meldung sorgte bundesweit für Schlagzeilen, auch von den Nürnberger Nachrichten wurde sie gedruckt. Zwischen den Zeilen gelesen, musste Martin A. dies so verstehen, als sei er selbst schuld an seiner Verletzung.

"Gewalttäter" als freie Meinungsäußerung

Fest steht aber: Er ist kein Gewalttäter. Er war und ist auch nicht zur Kontrolle ausgeschrieben. Er hat auch keine einschlägigen Vorstrafen auf dem Kerbholz.

Der Franke wurde registriert, weil er sich Wochen zuvor mit 84 weiteren Club-Anhängern einen rein verbalen Schlagabtausch mit Bayern-Fans geliefert hatte. Die Clubberer wurden damals, bevor es zu Tätlichkeiten kam, präventiv in Gewahrsam genommen. Ein juristisches Nachspiel oder gar eine Verurteilung folgte für A. nicht. Doch seine Daten landeten in der Datei „Gewalttäter Sport“.

Polizeiintern wird wohl zwischen Schreihälsen und Schlägern, gewaltbereiten und friedlichen Fans unterschieden. Nicht so in der Zentralen Informationsstelle für Polizeiliche Dienste (ZIS): Dort wertet man den Begriff „Gewalttäter“ als freie Meinungsäußerung, wohlgemerkt nicht einer Person, sondern einer Behörde. Mit dieser Begründung weigerten sich die Vertreter der ZIS im Dezember 2012 vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth, die Formulierung „Gewalttäter“ aus der Datei zu nehmen.

Kopfschüttelnde Richter

Martin A. hatte versucht, mit einer einstweiligen Verfügung gegen das Land Nordrhein-Westfalen die Unterstellungen endlich zu stoppen. Der damalige Richter stimmte ihm zwar zu, doch da eine Behörde Antragsgegner sei, musste der Fall von einem Verwaltungsgericht entschieden werden.

Nun erhielten Martin A. und Rechtsanwalt Albert vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG) recht - das OVG erließ eine einstweilige Anordnung gegen den ZIS-Bericht, die Behörde muss die Passage gegen A. entfernen. Und: Das OVG zerpflückte die Argumentation der ZIS gründlich und stellte auch den ganzen Bericht infrage, soweit er Zahlen der Gewalttäterdatei Sport veröffentlicht.

Das Kopfschütteln der drei OVG-Richter ist in dem Beschluss kaum zu überlesen: In der Datei (die Richter notieren eine „sogenannte Gewalttäterdatei“) seien auch Personen eingetragen, die sich nie einer Straftat schuldig machten. Werde hier, so heißt es weiter, der allgemeine Begriff des Straftäters, wie ihn die Öffentlichkeit verstehe, einfach „umdefiniert“?

Ein „Dieb“ wird nicht zum „Gewalttäter“, nur weil er in einer Datei eingetragen sei, so die Argumentation. Der Eintrag Martin A.s stelle eine erhebliche Persönlichkeitsverletzung dar und sei sofort zu löschen.

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