Kein Nachfolger, hohe Mieten: Nürnberger Einzelhandel kämpft

22.11.2018, 06:00 Uhr
In der Nürnberger Innenstadt kämpfen einige Geschäfte ums Überleben.

© Michael Matejka In der Nürnberger Innenstadt kämpfen einige Geschäfte ums Überleben.

Juwelier Günter Kristfeld schließt.

Juwelier Günter Kristfeld schließt. © Michael Matejka

Der Nachfolger fehlt: Nach 164 Jahren schlägt dem Traditionsgeschäft Uhren Kristfeld die letzte Stunde: Inhaber Günter Kristfeld, der das Unternehmen am Lorenzer Platz in fünfter Generation betreibt, hört am 22. Dezember endgültig auf. "Es fällt mir wirklich sehr, sehr schwer", sagt der 77-Jährige, "aber ich habe niemanden, der den Laden übernimmt." Sein Sohn, ebenfalls Uhrmachermeister, hat abgewinkt und sich für eine andere berufliche Karriere entschieden. 

Kristfeld trägt ihm dies nicht nach: Man kann sein Geld leichter verdienen, als sich zehn Stunden täglich in den Laden zu stellen, meint der Senior. Billige, überall erhältliche Quarzuhren haben hochwertige Zeitmesser verdrängt, in denen viel Technik steckt. Die Dominanz der Handelsketten und die Konkurrenz im Internet haben Kristfeld ebenfalls schwer zugesetzt.

Die Zahl der inhabergeführten Geschäfte geht ständig zurück, Filialisten nehmen ihren Platz ein — ein Trend, der seit Jahrzehnten anhält. Nürnberg ist bei dieser rasanten Entwicklung ganz vorn dabei: Nach Essen, Dortmund und Bremen hat die Frankenmetropole den vierthöchsten Filialisten-Anteil bundesweit, teilt Geschäftsführer Uwe Werner vom Handelsverband Bayern mit. In der Innenstadt sind 72 Prozent der Geschäfte bereits an Ketten vermietet (in der Fußgängerzone sogar 85 Prozent), nur bei 28 Prozent der Läden berät noch ein selbstständiger Händler.

 

Zu hohe Ladenmieten: Mit Filialisten machten Hausbesitzer in der Vergangenheit gute Geschäfte. Die Mietpreise kannten lange Zeit nur eine Richtung — steil nach oben. Da tun sich alteingesessene Einzelhändler schwer, wie das Beispiel Stempel-Müller zeigt. Das Traditionsgeschäft ist seit über 100 Jahren an der Jakobskirche präsent, jetzt wurde eine heftige Mietsteigerung angekündigt. 

Peter Doberer hat das seit 1864 bestehende Unternehmen von Eigentümer Müller vor zweieinhalb Jahren übernommen. Nach Müllers Tod verkaufte die Witwe das Haus, der neue Besitzer will nun Geld sehen: "Mit 12.000 Euro würde die Monatsmiete fast das Fünffache wie bisher betragen. Das kann ich nicht erwirtschaften", meint der 58-jährige Doberer. Er sucht jetzt nach einem günstigeren Domizil und betont optimistisch: "Es geht auf alle Fälle weiter."

Nachlassende Zugkraft: Laut einer Frequenzanalyse von BNP Paribas Real Estate von 2017 hat die Nürnberger Innenstadt in den vergangenen fünf Jahren sechs Prozent an Passanten eingebüßt. In konkreten Zahlen: In der Karolinenstraße wurden 2017 noch 6322 Kunden pro Stunde gezählt, in der Breiten Gasse waren es 4711, in der Kaiserstraße 1856. Der Rückgang wirkt sich natürlich auch auf die Umsätze der Geschäfte aus.

Hinter vorgehaltener Hand klagen Branchenkenner, dass die fetten Jahre des stationären Einzelhandels auch in Nürnberg vorbei sind. Die Kunden schauen sich die Ware in den Geschäften an und kaufen dann häufig im Internet — damit haben alle Läden zu kämpfen.

Daher werden horrende Ladenmieten mit langen Laufzeiten nicht mehr akzeptiert: das Mietlevel ist zwar immer noch sehr hoch, aber Vermieter tun sich zunehmend schwerer, ihre Vorstellungen durchzudrücken. Statt Mietverträge über zehn Jahre wie früher werden heute fünfjährige (manchmal sogar nur zweijährige) Vereinbarungen abgeschlossen.

Fehlplanung: Auch davor blieb Nürnbergs Innenstadt nicht  verschont. Der City Point wird abgerissen. Das Einkaufscenter mit fünf Etagen wurde vor 20 Jahren für damals 150 Millionen Mark errichtet, der alte Hertie musste weichen.  Doch das Konzept ging nicht auf: Zu wenig Kunden verirrten sich in die oberen Etagen.

Jetzt will der neue Eigentümer, der Düsseldorfer Projektentwickler Development  Partner, einen Neubau errichten mit drei  Stockwerken Handel und Gastronomie und darüber ein Hotel auf zwei Etagen. Geschätzte Kosten: 200 Millionen Euro.

Wann es losgeht, ist ungewiss. "Per Einstweiliger Verfügung wurde uns vom Gericht untersagt, Arbeiten zum Rückbau der leerstehenden Verkaufsflächen durchzuführen", erklärt Development-Sprecher Ralf Bettges etwas umständlich, "das wirft sämtliche Zeitpläne über den Haufen." Mieter hatten sich juristisch gewehrt, dass der staubige Rückbau stattfindet, während sie selbst noch weiter verkaufen. 

Zwar haben schon etliche Mieter den City Point verlassen, ihre Läden stehen gähnend leer. Andere Shop-Betreiber mit längeren Mietverträgen müssen dagegen noch durchhalten. Eine gewisse Untergangsstimmung macht sich in den Gängen breit.

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