Kinder nach Syrien entführt: 40-Jährige muss ins Gefängnis

20.7.2017, 18:09 Uhr
Kinder nach Syrien entführt: 40-Jährige muss ins Gefängnis

© Daniel Karmann/dpa

Die Anklage klang dramatisch: Eine 40-Jährige entführt ihre kleinen Kinder nach Syrien - angeblich, um sich dort den Terroristen des IS anzuschließen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass unter anderem eine Rakete im Haus der Frau einschlägt, und dass eine ihrer Töchter von Gewehrkugeln lebensgefährlich verletzt wird. Übrig bleibt von diesen Vorwürfen nach einem Prozess am Donnerstag vor dem Amtsgericht in Nürnberg nur, dass die Kinder in Syrien in Gefahr waren. Wegen der Entziehung Minderjähriger muss die Frau nun für drei Jahre ins Gefängnis. Denn für drei ihrer vier Kinder hatte die Frau das gemeinsame Sorgerecht mit ihrem nach islamischem Recht angetrauten Ehemann.

Die zum Islam konvertierte gebürtige Dresdnerin bestreitet im Prozess jeden Bezug zu radikalen Islamisten. Sie sei aus "emotionalen und religiösen" Gründen nach Syrien gereist, sagt die mit blauem Kopftuch und schwarz-weißem Umhang bekleidete 40-Jährige. Eine "Glaubensschwester" habe ihr das Leben dort schmackhaft gemacht. "Syrien ist mir einfach ans Herz gewachsen." Zudem lief es zu Hause in Nürnberg mit ihrem aus dem Sudan stammendem Mann schon eine ganze Weile nicht mehr gut. Eine Scheidung stand im Raum.

Ein Kind war nicht einmal ein Jahr alt

Also schnappt sie sich im September 2014 ihre vier Kinder - das jüngste war damals nicht einmal ein Jahr alt, die anderen zwei, vier und sieben -, sowie für jeden von ihnen eine Tasche, und verschwindet. Ihr Mann ist da gerade in der Moschee. Mit dem Flugzeug geht es in die Türkei und von dort weiter nach Syrien. Dort seien sie und ihre Kinder "keinen Kampfhandlungen ausgesetzt" gewesen, betont die Frau. Sie habe sich auch nur im Grenzgebiet zur Türkei aufgehalten, weil es dort als relativ sicher galt. Die Rakete sei nicht in ihrem Haus eingeschlagen, sondern in der Nähe. Und ihre Tochter sei "niemals" von Gewehrkugeln getroffen worden.

Diese Angaben stammen aus einem Interview, das die Frau nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft nach ihrer Syrien-Reise einer sudanesischen Zeitung gegeben hat. Die Frau selbst behauptet jedoch im Prozess, ihr Mann habe diese Geschichten erfunden und das Interview gegeben. Als der Ankläger sie im Prozess fragt, warum ihr Mann das getan haben soll, kann die 40-Jährige dafür keine Erklärung liefern. Man solle ihn selbst fragen. Das will das Gericht auch tun, denn ihr Mann wäre ein wichtiger Zeuge.

Vater erschien nicht vor Gericht

Doch er erscheint nicht. Dabei ist er extra aus dem Sudan nach Nürnberg gekommen und hatte im Hotel übernachtet. Als er am Tag des Prozesses auscheckt, fragt eine Hotel-Angestellte ihn nach seiner "Verabredung". Das habe er vergessen, sagt er und geht. Das Gericht verzichtet darauf, den Mann zu suchen - um das Verfahren abzukürzen.

Schloss sich die Hausfrau nun aber eigentlich Terroristen an oder nicht? Diese Frage wird möglicherweise nie geklärt werden. Im Nürnberger Prozess wird sie weitgehend ausgeklammert. Der Grund: Die Generalstaatsanwaltschaft München ermittelt deswegen in einem anderen Verfahren gegen die 40-Jährige - wegen Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Nach einem Telefonat mit den Münchner Kollegen in einer Prozesspause erklärt die Richterin in Nürnberg jedoch: Der Oberstaatsanwalt in der Landeshauptstadt habe gesagt, dass im Fall einer Verurteilung der Frau zu mindestens drei Jahren Haft das Verfahren in München eingestellt werden könnte.

Frau bekam in Syrien "Gewissensbisse"

In Nürnberg gibt die Frau an, sie habe schon kurz nach ihrer Ankunft in Syrien "Gewissensbisse" bekommen, weil sie die Kinder ihrem Vater vorenthielt. Spätestens nach dem Raketenbeschuss war ihr klar, dass sie aus Syrien raus muss. Daher habe sie im April oder Mai 2015 Kontakt zu ihrem Mann aufgenommen und im Sommer seien ihre drei ältesten Kinder zu ihm hinausgeschleust worden. Etwas später sei sie mit dem jüngsten Kind nachgekommen. Zunächst lebte die Familie danach im Sudan. Wegen der besseren Schul- und Arbeitsbedingungen in Deutschland beschloss die Familie, nach Deutschland zurückzukehren.

Bei der Ankunft am Frankfurter Flughafen im November 2016 wurde die 40-Jährige festgenommen - weil sie mehrere Geldstrafen nicht bezahlt hatte. Die Frau ist mehrfach vorbestraft - unter anderem wegen Diebstahls und Betrugs und sie saß auch bereits zweimal im Gefängnis. Erst danach wurden die angeblichen IS-Verbindungen bekannt und sie kam in Untersuchungshaft. Selbst die Richterin gibt zu, dass man in diesem Verfahren nicht alles aufklären konnte: "Wir müssen das so nehmen, wie Sie sagen, wie es ist - weil andere Zeugen nichts dazu sagen konnten", sagte sie an die Angeklagte gerichtet. Man könne die Aussagen der 40-Jährigen daher nicht widerlegen. "Man muss es ihnen aber auch nicht unbedingt glauben", sagt die Vorsitzende. In Nürnberg ist der Fall nun abgeschlossen. Weder Anklage noch Verteidigung wollen Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen.