Kippa-Prügler: Das sagen Nürnberger Juden zur Debatte

26.4.2018, 12:45 Uhr
Die Juden kennen den Antisemitismus seit 2000 Jahren. "Er gipfelte im Holocaust", so Jo-Achim Hamburger. "Wir sind auch in Nürnberg latent wachsam."

© Bodo Schackow (dpa) Die Juden kennen den Antisemitismus seit 2000 Jahren. "Er gipfelte im Holocaust", so Jo-Achim Hamburger. "Wir sind auch in Nürnberg latent wachsam."

Übergriffe auf Juden in Berlin, Zeilen über Auschwitz und den Holocaust in Rapper-Songs – der Antisemitismus ist wieder vermehrt in die Schlagzeilen geraten. Ist auch in Nürnberg eine neuerliche judenfeindliche Tendenz spürbar? Die NZ sprach darüber mit dem Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde von Nürnberg, Jo-Achim Hamburger. 
 
NZ: Was halten Sie von der Empfehlung des Zentralratspräsidenten, dass sich Juden in Großstädten nicht öffentlich mit einer Kippa zu ihrer Religion bekennen sollten? 


Jo-Achim Hamburger: Ich kenne Herrn Schuster seit vielen Jahren und verstehe ihn, kann diese Verallgemeinerung aber nicht unterschreiben. In Nürnberg haben wir nicht so viele jüdische Mitbürger, die eine Kippa tragen, weil die Orthodoxie bei uns nicht so ausgeprägt ist. In Berlin sind das auch nur Einzelfälle.

Auch wenn meines Wissens so etwas wie in Berlin noch nicht in Nürnberg vorgekommen ist, kann ich nicht ausschließen, dass es auch hier Viertel gibt, in denen man besser nicht nachts mit Kippa rumläuft. Ich kann es ja mal ausprobieren mit meinen muslimischen Freunden und sehen, was passiert. Unser Rabbiner läuft jedenfalls mit Hut und Mantel rum, ohne dass ihm jemals etwas passiert wäre. 


Sind also Angriffe oder Anfeindungen in Nürnberg kein Thema für die hier lebenden Juden? 

Hamburger: Wir kennen den Antisemitismus seit 2000 Jahren. Er gipfelte im Holocaust. Wir sind auch in Nürnberg latent wachsam. Aber vermehrte Angriffe auf jüdische Mitbewohner sind uns nicht bekannt. Leute greifen uns immer wieder in E-Mails an, das ist schon traurige Routine, macht uns aber keine große Sorge.

Wir haben durch den Staat Israel ein gewisses Selbstbewusstsein als Juden. Wir können uns wehren und stehen nicht wehrlos einem Mob gegenüber. Ich habe nicht verstanden, warum sich der Mann in Berlin nicht gewehrt hat und weiß, dass eine Ausholbewegung mit einem Gürtel lange dauert. Wir sollten nicht alles hinnehmen, sondern bereit sein, zurückzuschlagen. 
 
Wer greift Sie in E-Mails an? 

Der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde von Nürnberg, Jo-Achim Hamburger, äußerte sich über den Echo und die Kippa-Problematik.

Der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde von Nürnberg, Jo-Achim Hamburger, äußerte sich über den Echo und die Kippa-Problematik. © Horst Linke

Hamburger: Im Netz werden wir von Linken, Wutbürgern, Nazis und Biodeutschen angefeindet, die oft Israel ins Visier nehmen. Wir haben eine latente Bedrohungslage, die uns aber nicht extrem beunruhigt. 

Wie beurteilen Sie Ihre Sicherheitslage? 

Hamburger: Wir sind geschützt durch die Polizei, unsere Kameras und Personenkontrollen. Wir können uns gut verteidigen. Es wäre natürlich schöner, wenn wir hier ohne Schutzmaßnahmen leben könnten, aber das ist nicht so. Wir müssen eine bestimmte Wachsamkeit aufrechterhalten, dabei hilft uns der Staat und das Land.

Die Polizei steht hinter uns, wir stehen hinter der Polizei und dem Grundgesetz. Ich kenne es seit meiner Kindheit: Mein Vater Arno Hamburger wurde massiv bedroht, es gab sogar Bombendrohungen. Unser Haus wurde überwacht. Aber wir lassen uns nicht aus unserem Land vertreiben. 

Erleben Sie auch Diffamierungen von Seiten der Muslime? 

Hamburger: Das kann ich nicht so feststellen, im Netz herrscht Anonymität, aber natürlich gibt es auch unter Muslimen Antisemiten. Juden und viele Muslime gehen in Nürnberg freundschaftlich miteinander um. Wir arbeiten mit der Medina-Moschee-Gemeinde seit Jahren zusammen und waren auch schon gemeinsam in Israel.

Ich weiß, dass diese Muslime massiv gegen Antisemitismus vorgehen und den Islam so interpretieren, dass Antisemitismus Sünde ist. Bei anderen Muslimen, etwa aus Afghanistan, Syrien und dem Irak herrschen gegenüber Juden jedoch Vorurteile. Antisemitismus ist dort Staatsdoktrin und die Kinder werden schon so erzogen. Das kann man nur bekämpfen, wenn gemäßigte Muslime und Juden zusammenarbeiten. 
 
Wie und wo kann das geschehen? 

Hamburger: Wir müssen in Schulen und im Elternhaus ansetzen und mit Jugendlichen das Gespräch suchen. Es gibt aber auch einen Antisemitismus, gegen den kein Kraut gewachsen ist. Ich denke an die Weltverschwörungstheorien bestimmter Kreise, in denen Juden bestimmte Mächte zugewiesen werden.

Da geht es dann um die Juden in der Finanzwelt oder eine Täter-Opfer-Umkehr im Zusammenhang mit dem Staat Israel. Doch es geht bei diesen Verschwörungstheorien nicht nur um Juden. Sei es die Lügenpresse, die erfundene Mondlandung oder die Theorie, dass der 11. September von den USA gesteuert worden ist. Diese Theorien sind nur schwer auszuräumen. Sie helfen Menschen in einer komplizierten Welt, mit dieser Welt fertigzuwerden. 
 
Was halten Sie von der Echo-Verleihung an die Rapper Farid Bang und Kollegah? 

Hamburger: Diese Leute machen Battlerap, schreiben Textzeilen über Auschwitz und den Holocaust. Ihre Message ist sehr problematisch. Dafür verdienen sie nicht unbedingt einen Preis. Ich möchte diese Sache nicht überhöhen. Diese Leute haben eine gewisse Verantwortung und müssten eigentlich wissen, wie Jugendliche auf diese Texte reagieren. Solche Themen sollten mehr in den Schulen behandelt werden. 
 
Sind solche Vorkommnisse wie in Berlin ein offenes Thema in Ihrer Gemeinde? 

Hamburger: Ja, wir diskutieren über alle gesellschaftlichen Phänomene, aber auch über die positiven Dinge, die hier passieren. Nürnberg hat am vergangenen Sonntag als einzige Stadt in Deutschland mit uns und der deutsch-israelischen Gesellschaft eine unglaublich tolle Veranstaltung ausgerichtet zum 70-jährigen Bestehen des Staates Israel.

Wir können nicht immer nur negativ sein. Das ist auch unser Land – zu dem gehört alles: der Holocaust, die Fußballweltmeisterschaft, Bismarck, Heinrich Heine. Viele von uns sind hier geboren, und auch ich. Wir werden uns keine Angst einreden lassen von Leuten, die hier sind oder die dazugekommen sind.

Wenn sich die Flüchtlinge, die hier bleiben wollen, nicht auch mit unserer Vergangenheit und der daraus resultierenden Verantwortung beschäftigen, haben sie in Deutschland wenig verloren.

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