Kolumne "Kinderkram": Mein Kind, der Un-Mensch

24.10.2016, 06:19 Uhr

Als ich ein Kind war, da gab es kein Kinderschnitzel, keine Kinder-Käsespätzle und schon gar keinen Kinder-Schweinebraten. Im Gasthaus teilte ich mir eine Portion mit einem der Geschwister oder man bekam eben eine normale Portion. Da sind wir heute schon bedeutend besser dran. Wir sparen dank der Rubrik "Für unsere kleinen Gäste" Geld, es muss weniger weggeworfen werden und vor allem komme ich nicht in Versuchung, den Teller meines Nachwuchses leer zu essen. Manchmal sind die Gastronomen aber auch so freundlich und geben auch ohne Micky-Maus-Schnitzel und Pinoccio-Apfelstrudel auf der Karte günstigere Klein-Portionen aus.

Doch das ist gar nicht so leicht. Nehmen wir nur einmal ein Schäufele. Das passt per se nun mal nicht auf einen Seniorenteller. Wer das bestellt, der muss da eben durch. Oder wie war das unlängst bei unserem großen Familienfest? Da saßen wir alle um die lange Tafel herum, die Bedienung arbeitete sich an unseren Bestellungen ab, während unsere große Kleine krakeelte: "Ich nehme ein Schäufele" und damit die Lacher auf ihrer Seite hatte. Dieses Persönchen und ein Fleischberg am Knochen?! Also verloren sich mein Mann und ich in Diskussionen zwischen "Da bleibt wieder die Hälfte liegen", "Lass sie doch essen, was sie mag" und "Ich kann ja mitessen", "Immer diese Zusammen-Esserei". Dabei hatte die Kleine längst bestellt: ein Schäufele. Die Bedienung grinste und das Kind widmete sich wieder seinem Pferde-Sticker-Heft, das ihm seine Mutter (sprich: ich) in einem Anflug geistiger Umnachtung gekauft und damit eine unheilvolle Liebe gesät hat (SIE WILL JETZT REITEN LERNEN!).

Wie dem auch sei. Ich bestellte "bitte einen kleinen Schweinebraten" — in Erwartung des Schäufele, das von meiner rechten Seite aus drohte, während sich am anderen Ende der Tafel unser Großer noch durch die Karte arbeitete. "Möchtest du vielleicht ein Kinderschnitzel?", sprang ihm meine Schwester zur Seite. Und da war es wieder: das grausame K-Wort — zumindest in den Augen meines Kindes, das sich hilfesuchend der Oma zu seiner Linken zuwandte. "Ich will kein Kinderschnitzel. Kann ich auch ein Schnitzel für Menschen haben, Oma?"

Autsch, so fühlt sich das also an, wenn man immer nur die Hälfte bekommt und die Kleinstausgabe von allem — man fühlt sich als Un-Mensch. Künftig gibt es normale Schnitzel, normale Schweinebraten, den Rest ess ich dann eben. Mache ich ja eh ständig. Das Schäufele meiner Kleinen war übrigens ein Gedicht.

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