Kopftritte sind in Nürnberg ein Fall für die Mordkommission

16.8.2014, 05:44 Uhr
Kopftritte sind in Nürnberg ein Fall für die Mordkommission

© Archivfoto: dpa

Vor Kurzem an der Wöhrder Wiese: Drei Männer  prügelten auf einen 20-Jährigen ein, traten ihm mit den Füßen an den Kopf, brachen ihm mehrere Gesichtsknochen. Inzwischen wurden die Täter gefasst.  Einige Tage später ein ähnlicher Fall an der Frauentormauer. Ein Mann beschimpft einige Prostituierte wüst. Ein 28-Jähriger will vermitteln und wird selbst zum Opfer. Der Randalierer schlägt ihn zunächst nieder und tritt ihn dann an den Kopf.

Was vor kurzem womöglich noch als gefährliche Körperverletzung gegolten hätte, wurde in einem ähnlichen Fall unlängst als versuchter Totschlag verurteilt.  Der Sicherheitsdienst einer Nürnberger Disco hatte mehrere auffällige Gäste vor die Tür gesetzt. Doch draußen eskalierte der Streit erst richtig.  Ein 23-Jähriger trat mehrmals gegen ein bereits benommen am Boden liegende, 22-jährige Opfer. Er muss das mindestens dreimal mit voller Wucht getan haben, sagt eine Rechtsmedizinerin. So, als würde er einen Fußball kicken.

Es war eine regelrechte Gewaltexplosion.  Das Gericht war am Ende der Verhandlung der Überzeugung, dass der Täter gewusst hat, dass die Tritte lebensgefährlich sein können und er den Tod seines Opfers in Kauf genommen hat. Es schickte den 23-Jährigen wegen versuchten Totschlags viereinhalb Jahre hinter Gitter.

Die Ermittlungen hatte die Mordkommission 3 der Nürnberger Kripo übernommen. Seit einem Jahr bearbeitet die Mordkommission (K11) in einem Pilotversuch Fälle, in denen brutale Kopftritte eine Rolle spielen. Diese werden mittlerweile überwiegend als versuchte Tötungsdelikte behandelt und nicht mehr „nur“ als gefährliche Körperverletzung.

Tödliche Folgen

Die Nürnberger Polizei hängt das Delikt „Tritte gegen den Kopf“ ganz hoch. Der Grund für dieses Umdenken? „Massive Tritte gegen den Kopf können lebensbedrohliche bis tödliche Folgen haben“, sagt Thilo Bachmann, Leiter des Kriminalfachdezernats 1, zu dem die Mordkommission gehört. Das hat eine Studie ergeben, an der neben dem Polizeipräsidium Mittelfranken Wissenschaftler und die Justiz beteiligt waren.

Kopftritte sind in Nürnberg ein Fall für die Mordkommission

© Stefan Hippel

Dabei wurde auch deutlich, dass der Täter die Folgen nicht in der Hand hat. Mit einem einzigen weiteren Tritt kann aus einem Nasenbeinbruch eine lebensbedrohliche oder sogar tödliche Kopfverletzung werden. Manchmal hängt es allein vom Zufall ab. 

Der Pilotversuch der Mordkommission ist auf zwei Jahre angelegt. Bachmann zieht jetzt, zur Halbzeit, eine positive Bilanz. Ein Ziel sei gewesen, bei solchen Gewaltdelikten ganz tief in die Ermittlungen einzusteigen. Das habe man erreicht. Auch die Staatsanwaltschaft sieht das so. Dieser Ansatz „ist goldrichtig“, sagt Wolfgang Gründler, stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth.

Digitaler Schuhabdruck am Kopf

In der Praxis bedeutet die Verlagerung zur Mordkommission, dass die Polizei bei ihren Ermittlungen das volle Programm fährt. „Wir haben andere Möglichkeiten als die Schutzpolizei“, sagt Bachmann. Also als die uniformierten Kollegen in den Inspektionen. Kriminaldauerdienst, die Spezialisten der Spurensicherung vom Erkennungsdienst und Rechtsmediziner werden hinzugezogen. Fachleute verschiedener Disziplinen sind in die Ermittlungen integriert. Manchmal wird auch das Landeskriminalamt eingeschaltet – zum Beispiel, wenn es darum geht, einen Schuhabdruck am Kopf des Opfers digital zu vermessen und das Profil mit dem der Schuhe des Täters zu vergleichen.

Bestimmte Fälle werden außerdem rekonstruiert. „Man stellt die Szenen nach, wenn Zeugen dabei sind.“ Oft war nicht nur ein Täter am Werk. In der Regel waren es mehrere. Die Kripo muss jedem einzelnen jeden einzelnen Schlag oder Tritt nachweisen.

Sinkt die Hemmschwelle?

So mancher Tatverdächtiger fällt aus allen Wolken, wenn er sich plötzlich mit dem Vorwurf des versuchten Totschlags konfrontiert sieht. Vor den Kripobeamten sitzen in der Regel Männer im jüngeren oder mittleren Alter. Manche haben Vorstrafen auf ihrem Konto. „Aber das sind nicht lauter Berufsverbrecher“, sagt Bachmann. „Manche zeigen auch Reue.“

Es ist viel darüber geschrieben worden, dass die Schwelle zur hemmungslosen Gewalt immer weiter sinkt. Bachmann kann es nicht mit Zahlen belegen. „Aber vom Gefühl her würde ich sagen: Ja.“ Dass jemand einen Kopf wie einen Fußball behandelt, „das verstehe ich bis heute nicht“.

Nicht jeder Fußtritt landet automatisch bei der Mordkommission, aber die gefährlichen - und das sind die allermeisten - schon. Vor Gericht und vor der Staatsanwaltschaft hält dann auch nicht jede Einstufung als versuchter Totschlag stand. „Aber die intensiven Ermittlungen, die K 11 macht, geben uns bis zuletzt die Möglichkeit, das zu entscheiden“, sagt Oberstaatsanwalt Gründler. Soll heißen: Die Weichenstellung muss nicht sofort erfolgen.

Für die Täter hat die Weichenstellung gefährliche Körperverletzung oder versuchtes Tötungsdelikt gravierende Folgen: Bei versuchtem Totschlag ist der Strafrahmen größer.