Körperwelten-Kuratorin: "Gäste haben große Ehrfurcht“

27.10.2014, 06:00 Uhr
Zwei Plastinate bei Körperwelten stellen den menschlichen Akt nach - was manchem Kritiker weiteres Futter gibt.

© Roland Fengler Zwei Plastinate bei Körperwelten stellen den menschlichen Akt nach - was manchem Kritiker weiteres Futter gibt.

Frau Dr. Whalley, Ihre Gegner argumentieren, dass es billige Effekthascherei und ethisch unverantwortlich ist, einen Leichnam wie ein Möbelstück auszustellen.

Dr. Whalley: Seit unseren ersten Ausstellungen im Jahr 1997 höre ich diese Vorwürfe. Man tut damit den mittlerweile 40 Millionen Besuchern in Europa, Amerika und Asien Unrecht. Die Vorwürfe kommen von Menschen, die unsere Präsentationen nicht gesehen haben. Entscheidend ist, wie wir mit dem Thema umgehen: nämlich mit großer Sorgfalt und wissenschaftlicher Präzision.

Trotzdem ist doch das kribbelige Gefühl, sich eine Leiche anzuschauen, ein zentrales Motiv, um in die Ausstellung zu gehen.

Dr. Whalley: Was ist schlecht an Neugierde, dieser zutiefst menschlichen Eigenschaft? Wenn Sie sich die Vitrinen ansehen, dann wissen Sie, dass wir nicht auf reißerische, billige Effekte aus sind. Die Besucher stehen beeindruckt davor, sind tief in sich selbst versunken. Sie erkennen: ,So sehe auch ich aus. Das ist das Leben in mir.‘ Dieses bewegende, emotionale Erlebnis führt zu einer großen Ehrfurcht, zu einem anderen Bild der eigenen Körperlichkeit. Es verändert den Blick auf uns selbst. Und das ist das Entscheidende.

Ihr Plan, in Berlin eine dauerhafte Schau zu installieren, stößt auf entschiedenen Widerstand. Halten Sie an dem Vorhaben fest?

Dr. Whalley: Selbstverständlich, das ist ein Plan, den wir seit vielen Jahren verfolgen. Wir haben schon einige juristische Verfahren erfolgreich hinter uns. Die Urteile attestieren uns, dass wir die Menschenwürde nicht verletzen. Dass sich gerade Berlin, wo so viel anderes auch akzeptiert wird, dagegen sperrt, halte ich mit dem Image einer Weltstadt für nicht kompatibel. Die Moralkeule zu schwingen ohne eine echte Begründung, das ist hausbacken.

Neben ethischen Bedenken macht der dortige Bezirksbürgermeister auch das Berliner Bestattungsgesetz geltend, nach dem Leichen und Leichenteile bestattet werden müssen.

Dr. Whalley: Wir haben gerade ein Rechtsgutachten eines sehr namhaften Juristen eingeholt. Nach seiner Einschätzung ist das Gesetz nicht auf unsere Exponate anwendbar, da es sich nicht um Leichname im üblichen Sinn handelt. Für Anatomieleichen gelten andere Bestimmungen. Wir haben seit Jahren an einer dauerhaften Schau gearbeitet und kämpfen weiter dafür.

Körperwelten-Kuratorin:

Manche Kritiker monieren, dass Sie die Verstorbenen in lächerlichen Posen darstellen und ihnen damit die Würde nehmen — etwa beim Sex, als Hürdenläufer oder als Atlas, der eine Weltkugel trägt.

Dr. Whalley: Wir haben bei der Präsentation von unseren Besuchern gelernt. Japanische Gäste meinten vor Jahren, die Schau mit vier aufrecht stehenden Personen sei zwar interessant, aber es sehe alles so tot aus. Daraus entwickelten wir die Idee, die Plastinate in natürlichen Posen zu zeigen, um auch die Funktion von Muskeln, Sehnen und Organen deutlich zu machen. Wir stellen die Schönheit des Körpers dar, wir verlebendigen die Exponate und machen unsere Körperspender nicht lächerlich. Ganz im Gegenteil. Schließlich benötigt man Hunderte von Arbeitsstunden, um den Körper in die gewünschte Position zu bringen.

Zum Sexplastinat in der Nürnberger Schau: Muss man die körperliche Vereinigung zeigen?

Dr. Whalley: Sex ist der natürlichste Akt in unserem Leben, sonst würden wir schlichtweg nicht existieren. Anstößig wird Sex nur durch unsere eigenen Fantasien, die wir mit ihm verbinden. Auch das will ,Körperwelten‘ deutlich machen. Uns geht es um die Wissenschaftlichkeit, nicht darum, noch einen Kick draufzusetzen.

Was passiert mit Ihrem Körper nach Ihrem Tod?

Dr. Whalley: Ich habe mich schon sehr früh für eine Körperspende entschieden. Das war lange Zeit, bevor es die ,Körperwelten‘ gab. Übrigens: Mittlerweile stellen sich rund 14.000 Menschen als Körperspender für die Plastination zur Verfügung.

Und längst nicht alle sind später Teil einer Ausstellung. Rund 90 Prozent unserer Plastinate werden für wissenschaftliche Zwecke an Hochschulen genutzt.

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