Kraftshof - zwischen Wandel und Beständigkeit

30.8.2018, 18:41 Uhr
Vier Ansichten aus Kraftshof um 1915, von links oben nach rechts unten: die Kraftshofer Hauptstraße am Kindergarten, der Pfarrhof, der Kreß’sche Herrensitz und das Anwesen Kraftshofer Hauptstraße 172.

© unbekannt (Sammlung Sebastian Gulden) Vier Ansichten aus Kraftshof um 1915, von links oben nach rechts unten: die Kraftshofer Hauptstraße am Kindergarten, der Pfarrhof, der Kreß’sche Herrensitz und das Anwesen Kraftshofer Hauptstraße 172.

Vier Motive, vier Fenster in die Vergangenheit. Könnte man den Fotografen, der die Aufnahmen unserer Mehrbildkarte um 1915 geschaffen hat, in die Jetztzeit holen, er würde sich noch immer in Kraftshof zurechtfinden. Denn trotz der Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges und der Verkehrsplanung der Nachkriegszeit hat sich das traditionelle Bild des Knoblauchsländer Dorfes in großer Anschaulichkeit in das Jahr 2018 herübergerettet.

Am Anfang steht eine Straßenansicht, die geradezu idealtypisch das Klischee einer malerischen Dorfstraße wiedergibt. Die Kraftshofer Hauptstraße zwischen der Straße Am Knappsteig und dem Kirchenvorplatz hat sich in den Grundzügen nur wenig verändert. Sogar das mit einer Ecke frech in die Straße hineinragende Bauernhaus Nr. 154 ist noch da – ein Glücksfall, hat man in Nürnberg in den 1960er und 1970er Jahren doch Häuser aus weit geringeren Gründen für den Straßenausbau geopfert.

Gut erhalten blieb auch die Nr. 152 (vorne rechts angeschnitten), deren Fassade zur Straße 1825 in Sandsteinbauweise erneuert wurde. Dass auch auf dem Dorf die Zeit nicht stillsteht, zeigen die beiden Häuser im linken Bildteil der alten Postkarte: Das angeschnittene Wohnhaus mit seiner für die Nürnberger Gegend untypischen Klinkerfassade wurde im späten 19., der Kindergarten mit seinem Mansarddach Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut. In der Ferne ragt als Fluchtpunkt der Straßenansicht der Turm der Wehrkirche St. Georg auf.

Deren mächtiger Pfarrhof (Kraftshofer Hauptstraße 165), ein massiver Sandsteinbau mit hohem Satteldach aus dem 18. und 19. Jahrhundert, ziert das nächste Motiv. Das barocke Haupthaus des Herrensitzes, das einst an der Kraftshofer Hauptstraße 185 stand, gehört zu jenen Wahrzeichen des Dorfes, die es nicht mehr gibt: 1943 traf eine verirrte Fliegerbombe die örtliche Residenz der Nürnberger Ratsfamilie Kreß von Kressenstein.

Vier Ansichten aus Kraftshof von heute, von links oben nach rechts unten: die Kraftshofer Hauptstraße am Kindergarten, der Pfarrhof, der Kreß’sche Herrensitz und das Anwesen Kraftshofer Hauptstraße 172.

Vier Ansichten aus Kraftshof von heute, von links oben nach rechts unten: die Kraftshofer Hauptstraße am Kindergarten, der Pfarrhof, der Kreß’sche Herrensitz und das Anwesen Kraftshofer Hauptstraße 172. © Sebastian Gulden

Geradezu schamhaft hat man die barocke Gartenmauer nach dem Krieg an Stelle der abgebrochenen Ruine fortgesetzt, ganz so, als habe das Schlösschen nie existiert. Ganz verloren ging der Herrensitz aber nicht: Neben besagter Gartenmauer hat sich das spätmittelalterliche, "Kressenstein" genannte Sommerhäuschen, ein zierlicher Bau aus Sandstein und Fachwerk, erhalten.

Auch das Gebäude der Bäckerei und Kolonialwarenhandlung J. Dachlauer (Kraftshofer Hauptstraße 172) gibt es noch, mögen auch die Tage, in denen man hier frische Brezen und Kaffee erwerben konnte, vorbei sein. Die Lage war ideal, denn das Geschäft befand sich mitten im Ortskern vor dem Tor der Wehrkirche. Ein Teil der trutzigen Sandsteinmauer und des daran angebauten alten Schulhauses spitzen am rechten Bildrand hervor.

Bildpostkarten als Erinnerung für die Verwandten

Zum Angebot der Dachlauers gehörte mit Sicherheit auch unsere historische Ansichtskarte, wenn sie der Bäckermeister nicht sogar selbst in Auftrag gegeben hat. Dass man sich solchen Luxus schon anno 1915 leistete, als das Leben auf dem Dorf noch von harter Arbeit und mancher Entbehrung geprägt war? Aber ja: Selbst in den kleinsten Orten gab es vor rund einem Jahrhundert Bildpostkarten mit örtlichen Motiven zu erstehen, wenngleich die Käufer seltener Touristen waren als Einheimische, die ihren Lieben weiter weg eine persönliche Erinnerung zukommen lassen wollten.

In Kraftshof indessen gab es vor 100 Jahren schon so etwas wie Lokaltourismus. Wohlhabende Städter aus Nürnberg, Fürth und Erlangen kamen gerne auf einen Tagesausflug vorbei, um dem malerischen Dorf, seiner Kirche und natürlich seinen Wirtshäusern einen Besuch abzustatten. Im Übrigen war Kraftshof schon 1915 alles andere als ein Kaff: Als selbstständige Gemeinde im Bezirksamt (heute Landkreis) Fürth besaß es seine eigene Verwaltung und ein eigenes Postamt. Erst 1930 kam der Ort zusammen mit den Nachbardörfern zur Kreisfreien Stadt Nürnberg.

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