"KZ-Kitsch": Inschrift neben Lorenzkirche steht in der Kritik

30.1.2019, 05:55 Uhr

© Foto: Günter Distler

Zehntausende von Passanten laufen täglich an der Lorenzkirche vorbei in die Fußgängerzone oder hinab zum Hauptmarkt. Eine sehr belebte Strecke also. Trotzdem fallen die 14 großen Granitplatten an der Nordseite des evangelischen Gotteshauses nur wenigen auf. 

Nürnberg und der Nationalsozialismus, da gibt es sehr viele Verknüpfungen. Grund genug, sich der schrecklichen Vergangenheit zu stellen. Das wollte auch der österreichische Bildhauer Karl Prantl, der die Steinskulptur "Nürnberger Kreuzweg" geschaffen hat - zum Andenken an die Opfer des NS-Terrors. Er nutzte 14 originale Granitplatten im Format 120 mal 120 mal zehn Zentimeter, die von der "Großen Straße" des einstigen nationalsozialistischen Reichsparteitagsgeländes stammen. 

Die Lorenzer Pfarrerin Susanne Bammessel hält den Denk-mal-Ort  für wichtig. Sie stößt sich aber an Prantls Begleittext zu den 14 Granitplatten, der ebenfalls als Steintafel in das Kopfsteinpflaster eingelassen ist. 

Dort steht: "Und auch Steine leben. Sie sind Gebeine der Mutter Erde. Missbrauch von Steinen ist wie Missbrauch am Menschen. Die vierzehn Steinplatten stammen von der Großen Straße des nationalsozialistischen Reichsparteitagsgeländes. Sie wurden Stück für Stück von Zwangsarbeitern und Gefangenen in Konzentrationslagern bearbeitet. Jeder Stein ist Fingerabdruck eines missbrauchten und geschundenen Menschen. Karl Prantl 1991, Nürnberger Kreuzweg."

Historiker kritisieren Künstler 

Zwei Nürnberger  Historiker erheben schwere Vorwürfe gegen den Künstler, der 2010 verstorben ist: Die Behauptung, dass Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge am Bau der Großen Straße beteiligt waren, sei "nachweislich falsch", weil die Fahrbahn lange vor dem Einsatz von Zwangsarbeitern fertig gewesen sei, unterstrich Historiker Eckart Dietzfelbinger bereits 2004: "Mithin ist Prantls Kreuzweg nichts als sentimentaler KZ-Kitsch, der eine gutwillige Öffentlichkeit narrt." 

Dietzfelbinger, der bis zu seinem Ruhestand im Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände gearbeitet hat, weist darauf hin, dass sich 310 deutsche Firmen bereits 1937  zur "Arbeitsgemeinschaft Naturstein" zusammengeschlossen hatten, um das notwendige Steinmaterial für die monumentalen NS-Vorhaben am Dutzendteich zu liefern. 

Wissenschaftler Alexander Schmidt vom Nürnberger Dokumentationszentrum bekräftigte 2005 die Kritik seines Kollegen, indem er auf Unterlagen des Nürnberger Stadtarchivs verweist. Aus den Dokumenten gehe hervor, dass  die Granitlieferungen für die Große Straße vollständig durch konventionelle Steinbruchbetriebe erfolgt sind: "Kein Stein der Kongresshalle und kein Stein der Großen Straße wurde nachweislich von KZ-Häftlingen gebrochen."

Sein Resümee: "Der 'Nürnberger Kreuzweg' an der Lorenzkirche mit seiner historisch vollständig falschen Inschrift stellt ein Beispiel dafür dar, wie eine in diesem Fall christlich aufgeladene künstlerische Denkmalsgestaltung Betroffenheit einfordert, die nicht eingefordert werden darf." 

Pfarrerin fordert neue Erklärung

Für die evangelische Pfarrerin Susanne Bammessel ist klar, dass man nach diesen neueren Forschungen "unbedingt noch einmal an den erklärenden Text ran muss". Entweder solle man die Platte des städtischen Denkmals durch eine erläuternde Tafel ergänzen oder die Inschrift gleich ganz neu fassen. 

Das Buch "Nürnberger Geheimnisse" schildert 50 unbekannte Ereignisse und rätselhafte Darstellungen in der Stadt. Das Werk aus dem Verlag Bast Medien kostet 19,90 Euro. Es ist im Buchhandel (ISBN: 978-3946581-56-7), in NN-Geschäftsstellen und online erhältlich: www.bast-medien.de oder www.zeitungsshop.nordbayern.de. 

8 Kommentare