Larissa Wagner tätowiert im Atelier Thirdeye in Gostenhof

11.9.2013, 08:00 Uhr
Larissa Wagner tätowiert im Atelier Thirdeye in Gostenhof

© Roland Fengler

Paul mag Tattoos. An der rechten Wade karriolen Comicfiguren, ein Maori-Muster mit Zacken und Schnörkeln ziert seinen linken Unterarm. Jetzt ist der rechte Unterarm dran. Dort sollen aus einer Ranke die Spielkartenzeichen Herz, Karo, Pik und Kreuz wuchern. Mitsamt dem Fürther Kleeblatt. Diesmal von der Hand einer Frau: Larissa Wagner.

Larissa hat sich viele Gedanken gemacht. Schließlich muss der Entwurf sich der zylindrischen Form des Unterarms angleichen. Gemeinsam studieren Larissa und Paul die Zeichnung, begutachten, ob die angegebenen Initialen stimmen. „Klassischer Irrtum“, meint Larissa, „ein Rechtschreibfehler – und die ganze Arbeit ist versaut.“ Larissa scannt den Entwurf ein, druckt eine kleinere Variante aus, legt diese auf Pauspapier und zeichnet mit spitzem Stift sämtliche Konturen und Schraffuren nach. Dann geht es ins Behandlungszimmer. Der Raum ähnelt in Geruch und Inventar einer Zahnarztpraxis.

Larissa Wagner, Jahrgang 1973, ist freischaffende Künstlerin und erst im Brotberuf Tätowiererin. „In meiner Kunst verwende ich nur Schwarz, Weiß und Rot, andere Farben wollen bei mir nicht harmonieren“, wundert sich Larissa. „Dabei mag ich es gerne bunt, aber das klappt nur beim Tätowieren.“ Und da ist der Kunde König. Larissa geht auf die Wünsche der Kunden ein, möchte aber konkrete Angaben. „Ich will, dass die Leute wissen, welches Bild sie tragen, denn das behält man für sein Leben.“

Ihre ersten Gehversuche unternahm Larissa 2007 in einem Studio, seit knapp zwei Jahren unterhält sie ihr eigenes Studio in Gostenhof. „Tätowieren ist kein Ausbildungsberuf, man lernt durch Zusehen“, erzählt Larissa. „Erst habe ich auf dem Papier gemalt, dann auf Schweineohren. Die Entwürfe dürfen nicht zu klein oder zu detailliert sein, denn die Haut verändert sich, sie ist ein lebendiges Organ.

Darum tätowiere ich meine Kunden erst, wenn sie mindestens zwanzig Jahre alt sind, dann erst ist die Haut ausgewachsen.“ Schließlich erfolgte der Eingriff am lebenden Objekt: Larissa stach ihr erstes Tattoo auf den eigenen Oberschenkel. „Das war meine Initiation. Ich habe mich allein tätowiert. Man muss den Schmerz spüren, damit man sich in seine Kunden hineinversetzen kann.“ Und wie fühlt sich das an? Paul und Larissa sind sich einig: „Wie das Feuer von Brennnesseln, verbunden mit einem elektrischen Kribbeln.“

Erst wäscht sich Larissa Hände und Unterarme, dann desinfiziert sie Pauls Arm und rasiert ihn fein säuberlich, dass kein Flaum übrig bleibt. Danach klebt sie das Pauspapier auf den Arm und zieht es ab – violett zeichnet sich die Ranke mit den Kartensymbolen ab. Die Schablone trocknet 15 Minuten, in der Zeit reißt Larissa an die 30 Stück Papiertücher zum Auftitschen ab, umwickelt ihre Unterarme mit Plastikfolie, zwängt ihre Hände in Latexhandschuhe und legt die „Metzgerschürze“ an.

Drei Sorten Nadeln liegen bereit: zum Ziehen der Linien, zum Schattieren, und zum Ausfüllen mit Farbe. Larissa begutachtet die Nadeln mit einer Lupe. Sind alle Spitzen gerade? Paul macht es sich auf dem Sessel so bequem wie möglich. Larissa dehnt mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand die Haut und sticht die vorgepausten Linien nach. Zentimeter für Zentimeter. Immer wieder tunkt sie die Nadel in schwarze Tinte und zeichnet nach. Im Kriechgang arbeitet sie sich hoch. So vergeht eine Stunde.

15 Minuten Verschnaufpause. Während Paul draußen raucht, streckt Larissa ihren Rücken durch. „Die eigentliche Kunst des Tätowierens besteht in einer Gratwanderung“, erklärt sie bei einer Tasse Kaffee. „Die Haut darf einerseits nicht mehr als nötig verletzt werden – andererseits benötigt ein Tattoo Schattierungen und farbige Übergänge, damit es gut aussieht. Anspruchsvolle Tattoos benötigen mehrere Sitzungen und dazwischen liegen einige Wochen Zeit zum Verheilen.“

Nächster Schritt: die Schattierungen. Sieben Töpfchen voll unterschiedlicher Grautöne liegen bereit, dazu zwei Rot-Töne, „Sangria“ und „Rose“. Die Spitzen der Schattiernadeln liegen wie ein Kamm eng beieinander und surren sachte. Wieder arbeitet Larissa von unten nach oben, diesmal zeichnet sie mit flinken Wischbewegungen, tunkt die Nadel mal ins eine, mal ins andere Grau. Der Laie sieht keinen Unterschied, ihm scheint alles schwarz. „Das differenziert sich erst nach ein paar Tagen, wenn es trocknet“, erklärt Larissa.

Die Hölle beginnt von Neuem

Für Paul beginnt die Hölle von Neuem: „Nach einigen Minuten gewöhnt sich der Körper an den Schmerz und schaltet ab“, seufzt er. „Die Pause ist wie ein Aufatmen, zugleich wird der Körper sensibler. Jetzt schmerzt es wieder wie ganz am Anfang.“ Larissa bestätigt: „Manche Kunden empfinden die Vorzeichnung schlimmer, andere die Ausmalung. Aber irgendwann tut alles weh.“

Die zweite Stunde vergeht wesentlich schneller als die erste. Wieder 15 Minuten Pause. Dann der dritte Schritt. Diesmal füllt Larissa Herz und Karo mit Rot, arbeitet mit sanften Übergängen von Dunkel- zu Hellrot. Doch mit dem Stechen ist die Tätowierung nicht beendet. Die Haut muss heilen. „Das ist wie bei einer Schürfwunde, die verletzte Haut bildet eine Kruste“, erklärt Larissa.

„Das juckt wie verrückt, aber du darfst dich nicht kratzen. Und auch nicht schwimmen gehen. So lange, bis die Kruste von selbst abfällt.“ Paul denkt bereits über das nächste Tattoo nach. „Das ist normal“, erklärt Larissa. „Der Körper schüttet Stresshormone aus, und am Ende empfindet man Glück und Stolz, es überstanden zu haben. Derart, dass man gleich noch ein Tattoo will.“
 

Keine Kommentare