Maly: "Steine erzählen mehr als Geschichtsbücher"

7.1.2015, 05:57 Uhr
Stein des Anstoßes und Grund heftiger Debatten: Das Zeppelinfeld mit der großen Tribüne. Wie damit umgehen? Verfallen lassen oder sanieren?

© Michael Matejka Stein des Anstoßes und Grund heftiger Debatten: Das Zeppelinfeld mit der großen Tribüne. Wie damit umgehen? Verfallen lassen oder sanieren?

Bleibt die Stadt trotz der durchaus fundierten Kritik bei ihren Plänen, das Areal mit Haupttribüne und Wallanlagen im heutigen Zustand zu bewahren?

Ulrich Maly: Die drei Experten waren von ganz unterschiedlichen Motiven getragen. Glaser argumentiert seit Jahrzehnten, dass die Steine dort nicht sprechen können. Ich glaube dagegen, dass gerade für künftige Generationen, die zu Hause nicht mehr den Opa oder Uropa fragen können, wie das damals war, die Steine sehr viel mehr erzählen können, als es jedes Geschichtsbuch kann.

Aber der Fachmann Frei befürchtet sogar eine Art Infotainment, also eine Verkitschung des NS-Erbes, für den Fall einer Sanierung . . .

Maly: . . . das hat mich gewundert. Denn Frei hat, als er vor ein paar Jahren von uns zur Umbenennung der Bischof-Meiser-Straße als Sachverständiger eingeladen war, geradezu gebieterisch eine stringente Erinnerungskultur gefordert. Genau das machen wir auf dem Reichsparteitagsgelände. Der Vorwurf des Infotainments geht ins Leere.

Und Egli? Der sprach von einer nicht erhaltenswerten Architektur.

Maly: Als Schweizer und Architekturgeprägter ist er von dem Problem ein Stück zu weit entfernt.

Also plädieren Sie dafür, einfach so weitermachen . . .

Maly: . . . ich will das Problem gar nicht leugnen. Wir reden hier über eine riesige Nazi-Hinterlassenschaft, die einfach nicht drittverwendungsfähig ist. Meines Erachtens ist das der einzige Ort in Deutschland, der von der Massenbewegung der Nazis erzählt, die quasi der Schutzschirm für die Banalität des Bösen war — auf dem Weg von der Machtergreifung in die Barbarei. Ich kann aber auch jeden verstehen, der sagt, „Spinnt ihr? Dafür 70 Millionen auszugeben . . .“ Eine junge Familie in Nürnberg, die keinen Hortplatz kriegt, wird genauso reagieren. Aber wir müssen uns dem Thema stellen.

Warum?

Maly: Weil ein kontrollierter Verfall, wie ihn manche Experten fordern, nichts anderes bedeutet, als dass wir innerhalb weniger Jahre großflächig einen Zaun um das ganze Areal ziehen müssen. Damit würden wir vermutlich der Mystifizierung des Ortes Vorschub leisten. Das wäre für mich die größere Gefahr. Heute ist das Reichsparteitagsgelände kein Wallfahrtsort für Alt- und Neonazis, weil wir die Auseinandersetzung gezielt ermöglichen und fördern.

Uns geht es auch nicht um Aufhübschen oder um Rekonstruktion, sondern nur darum, und da greife ich ein Zitat von Glaser auf, dieses Ding in seinem jetzigen Zustand „trittfest“ zu machen, also um einen bautechnischen Erhalt. Würden wir das Areal einzäunen, wäre es im Übrigen auch dem demokratischen Gebrauch entzogen.

Bleiben wir bei der Nutzung der Tribüne, etwa für das Norisring-Rennen: Es gibt kritische Stimmen, die sagen, die Stadt lasse sich von Veranstaltern unter Druck setzen . . .

Maly:

© Foto: Linke

Maly: . . . überhaupt nicht. Das ist ein unausrottbares Vorurteil. Das Musikfestival Rock im Park findet nicht auf der Tribüne statt. Und auch das Autorennen lebt im Wesentlichen von eigens aufgebauten Stahltribünen. Der MCN (Motorsportclub Nürnberg, Anm. d. Red.) könnte wahrscheinlich mehr Zuschauer unterbringen, wenn es die Steintribüne nicht gäbe.

Gilt Ihr Konzept des Erhalts für das gesamte Reichsparteitagsgelände?

Maly: Ja. Wir kümmern uns ja schon seit Jahren — auch mit Geld — um alle Bestandteile des Geländes. Dieses gesamte Ensemble ist wichtig. Ob das künftige Generationen auch so sehen, ist eine andere Frage. Vor 60 Jahren wurde das anders diskutiert als vor 40 Jahren, vor 20 Jahren oder heute. Deshalb haben wir nie den Anspruch, etwas final zu regeln — wir wollen aber das Reichsparteitagsgelände als historischen Lernort erhalten.

Wie sieht es denn mit dem Bahnhof Märzfeld aus, von dem Tausende Juden deportiert wurden und der momentan ein absolut jämmerliches Bild bietet?

Maly: Wir sind im Gespräch mit der Bahn. Die Zeppelintribüne ist sicherlich einzigartiger als der Bahnhof, von dem aus deportiert worden ist, denn da gab es — leider — in Deutschland viele Bahnhöfe. Dort werden wir in geeigneter Form gedenken müssen.

Manche bezeichnen die personelle Situation des Dokuzentrums als ungeeignet, um den Ansprüchen gerecht zu werden, vor allem im Vergleich mit München. Im dortigen Dokuzentrum werden nach der Eröffnung 20 Beschäftigte Dienst tun, in Nürnberg sind es gerade mal neun — müsste nicht dorthin mehr Geld fließen?

Maly: Ich kann niemand auf die Anklagebank setzen. Wir betreiben die Einrichtung ja selbst. Vor eineinhalb Jahren gab es eine neue Stelle. Im Lauf des Jahres 2015 kommt eine zusätzliche Stelle hinzu, die Leitungsfunktion für das Memorium. Außerdem finanzieren wir die Kosten für den Umbau und neue Büros. Andere städtische Dienststellen würden sich freuen, wenn sie so prominent vertreten wären. Natürlich laufen wir ein Stück weit dem Erfolg hinterher — wer hätte mit 200 000 Besuchern pro Jahr gerechnet?

Lassen Sie uns ins Memorium blicken. Da spielt Finanzminister Söder mit dem Gedanken, den Saal 600, der in wenigen Jahren für die rein museale Nutzung zur Verfügung stehen wird, in den Zustand des Jahres 1945 rückbauen zu lassen — was halten Sie davon?

Maly: Ich glaube, er wäre klug beraten, wenn er nicht schon, bevor er die Experten befragt hat, vorgibt zu wissen, was zu tun ist. Ich vermute zu ahnen, was ihm die Mehrheit der Experten raten wird: Man sollte den Saal so lassen, wie er ist. Denn der Geist des Ortes — zumindest geht es mir so — erschließt sich auch ohne Rückbau.

Und welche Folgen hätte eine Rekonstruktion für die erneut geplante Bewerbung um den Titel Weltkulturerbe?

Maly: Es geht um den ideengeschichtlichen Ort, nicht um die Möblierung des Saales. Hilfreich ist es vermutlich aber nicht, wenn dort nagelneue Schreinerarbeiten zu sehen sind.

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