Nach Attentat: Interview mit Bürgermeister Hollstein

22.6.2018, 14:34 Uhr
Andreas Hollstein ist seit 1999 Bürgermeister in Altena (Westfalen).

© Oliver Berg (dpa) Andreas Hollstein ist seit 1999 Bürgermeister in Altena (Westfalen).

Nürnberger Nachrichten: Herr Hollstein, es liegt eine schwierige Zeit hinter Ihnen. Wie geht es Ihnen heute?

Andreas Hollstein: Mittlerweile wieder gut. Gott sei Dank auch so gut, dass ich meine normalen Tätigkeiten wie gewohnt verrichten kann. Natürlich habe ich immer noch vor Augen, was damals geschehen ist. Daraus verspüre ich eine Verantwortung, darauf aufmerksam zu machen, dass bei uns in Deutschland der Respekt vor der Polizei, Feuerwehr, Mitarbeitern in Rathäusern oder Lokalpolitikern dramatisch abgenommen hat. Im Zuge einer immer stärker werdenden sprachlichen Verrohung und einer verschwindenden Grenze zur körperlichen Gewalt, müssen wir als Staat aufpassen, dass diese Menschen nicht zu Opfern werden.

NN: Sie lassen sich trotz der schlimmen Tat nicht unterkriegen?

Hollstein: Das Thema jenseits meines Einzelfalls ist doch Folgendes: Zehn Prozent meiner Kollegen sagen, sie mussten schon mit Gewalt und Bedrohungsszenarien konkreter Art umgehen, 50 Prozent sagen, sie wären schon einmal im Internet oder durch anonyme Briefe bedroht worden. Da sage ich ganz klar: Das kann nicht sein. Wir dürfen dieses Thema als Gesellschaft nicht verschlafen, denn ansonsten werden irgendwann die falschen Leute in der Verantwortung sein. Wenn es nur noch die eiskalten sind, die das aushalten und wegdrücken können, dann wird unsere Gesellschaft ärmer.

Gerechtigkeit gibt's im Himmel

NN: Am 11. Juni fiel das Urteil im Prozess wegen versuchten Mordes. Der Angeklagte wurde nur wegen gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Sind Sie verärgert?

Hollstein: Verärgert nicht, aber das Urteil könnte missverstanden werden in der Hinsicht, dass das ja alles nicht so schlimm ist, dass man mal eben jemandem ein Messer an den Hals hält. Es wurden einige Sachen im Urteil nicht berücksichtigt. Beispielsweise die Folgeschäden der Helfer. Zusammenfassend finde ich das Urteil zu milde. Aber Gerechtigkeit gibt es vielleicht im Himmel, nicht im Diesseits. An meiner Situation ändert das überhaupt nichts, weil ich dankbar bin, dass ich nicht zu Tode gekommen bin. Und das verdanke ich zwei Helfern mit türkischem Hintergrund (Die Betreiber der Dönerbude hatten mitgeholfen, den Täter zu überwältigen; Anm. d. Red.). Ich bin Ihnen nach wie vor sehr dankbar.

NN: Der Täter gab an, aus Verzweiflung gehandelt zu haben und Sie wegen Ihrer liberalen Flüchtlingspolitik attackiert zu haben.

Hollstein: Dieses Thema, sich weiter für Migranten einzusetzen, halte ich nach wie vor für eine wichtige Geschichte. Was das Thema Gewalt und Bedrohung im Internet angeht, hat sich aber auch nichts verändert. Das war etwas, was nach dem Attentat richtig aufkam, von ganz rechts bis in alle politische Spektren. Ich selbst habe viele Briefe bekommen. Manche schrieben, dass das doch alles halb so schlimm wäre. Andere schrieben, dass es schade sei, dass sie mich nicht erwischt hätten. Auch meine Familie wurde bedroht. Das geht nicht und da muss man ganz klar Flagge zeigen: So etwas ist unserer Gesellschaft nicht würdig.

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