Nürnberger Seenotretter: "Europas Politik ist visionslos"

13.6.2018, 17:03 Uhr
Verzweifelt versuchen Menschen auf Stadlers Rettungsschiff "Seefuchs" zu gelangen.

© Michal Dyjuk Verzweifelt versuchen Menschen auf Stadlers Rettungsschiff "Seefuchs" zu gelangen.

Der Nürnberger Klaus Stadler hat als Seenotretter eine ähnliche Irrfahrt erlebt wie Im Gespräch mit der NZ berichtet er von seinen Einsätzen.

Sie sind Unternehmensberater in Nürnberg, wie wurden Sie zum Seenotretter im Mittelmeer?

Klaus Stadler: Das war ein dramatischer Trailer, den ich im Kino gesehen hatte, von der Organisation Sea-Eye aus Regensburg. Dieser Filmbeitrag schilderte die Hilflosigkeit der Flüchtlinge und derer, die da zuschauen. Seit 2016 bin ich dem Verein verbunden und 2017 bin ich meine erste Mission gefahren.

Was ist Ihre Aufgabe an Bord?

Stadler: Ich bin schon seit 1984 begeisterter Segler. An Bord der "Seefuchs" bin ich Kapitän, ich habe alle erforderlichen Scheine und bin verantwortlich für das ganze Schiff.

Das Rettungsschiff "Aquarius" durfte zwei Tage lang in keinem Hafen anlegen. Sie hatten ähnliche Probleme.

Nürnberger Seenotretter:

© privat

Stadler: Wir haben vergangene Woche von der italienischen Seenotrettungsleitstelle MRCC Rome die Anweisung bekommen, zu einem Flüchtlingsboot zu fahren. In einer dramatischen Aktion haben wir 119 Menschen von diesem Schlauchboot geborgen. Die Dramatik lag darin, dass sich das Wetter verschlechtert hat – wenn wir eine Stunde später gekommen wären, wären diese Flüchtlinge nicht mehr auf dieser Welt. Wir haben die Menschen an Bord genommen, was eigentlich nicht die Mission unseres Schiffes ist, ein 60 Jahre alter umgebauter Fischkutter. Die Mission ist, Flüchtlingsboote zu finden, die Passagiere mit Schwimmwesten auszustatten und weitere Hilfe anzufordern. In diesem Fall war die weitere Hilfe aber fern, und deshalb haben wir die Menschen an Bord genommen und sind auf Anweisung der italienischen Rettungsleitstelle gen Norden gefahren.

Wie ging es dann weiter?

Stadler: Wegen des hohen Wellengangs sind mehrere Versuche gescheitert, die Flüchtlinge an Bord anderer Schiffe zu bringen. Ich habe dann auf der Höhe von Malta die dortige Rettungsleitstelle um Unterstützung gebeten. Die hat das abgelehnt mit der Begründung, für den Einsatz sei Italien zuständig. Daraufhin haben wir einen Notruf gesendet, der von den Italienern nach Malta weitergeleitet wurde. Malta hat uns einen kurzen Zeitraum angeboten, um einen Hafen anzulaufen. Nach einer kurzen Verzögerung wurde uns dies aber wieder verwehrt. Wir haben dann Kurs auf Sizilien genommen und konnten die Flüchtlinge schließlich an Land bringen.

Ein Flüchtling ist aber ertrunken.

Stadler: Das ist schon auf der Fahrt von der libyschen Küste nach Norden passiert, da ist ein Flüchtling über Bord gegangen und ertrunken. Kollegen haben es schon erlebt, dass Menschen vor ihren Augen ertrinken, weil es nicht mehr zu schaffen war, sie an Bord zu holen. Das ist dramatisch für die gesamte Crew.

Dramatische Szene an Bord des Schiffes. Die Flüchtlinge sind entkräftet und verzweifelt.

Dramatische Szene an Bord des Schiffes. Die Flüchtlinge sind entkräftet und verzweifelt. © Michal Dyjuk

Wie viele Menschen haben Sie auf ihren Einsätzen bisher gerettet?

Stadler: In den letzten Jahren waren das über 13.000, an deren Rettung wir beteiligt waren.

Wie bewerten Sie den aktuellen Fall der "Aquarius", die Italien nicht anlaufen durfte und erst nach zwei Tagen in Spanien anlegen konnte?

Stadler: Es ist unerträglich. Wer die Verhältnisse kennt auf so einem Schiff mit über 600 Flüchtlingen an Bord, im Fall von unserer befreundeten Organisation mehrere Tage lang, der weiß, wie die Menschen leiden. Sie haben sich auf den Weg gemacht, sind in Not geraten, aus dem Wasser gezogen worden, und aufgrund politischer Ränkespiele können sie dann nicht an Land versorgt werden, das ist unverantwortlich und Ausdruck einer völlig visionslosen europäischen Politik im Umgang mit dem Thema Migration.

Wie könnte eine Vision, eine Lösung aussehen?

Stadler: Man muss das Thema zweiteilen. Zum einen sind da die Flüchtlinge, die sich unter Lebensrisiko aufs Meer begeben. Wenn sie in Seenot sind, gibt es für einen Seemann keine andere Wahl, als sie zu retten. Die andere Thematik hat eine größere Dimension, das ist die allgemeine Migrationsproblematik. Wir sind uns bewusst, dass wir da nur an einem bestimmten Punkt Hilfe leisten können. Die Migrationsgründe können wir von Sea-Eye nicht beeinflussen, wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, dass jedes Menschenleben es wert ist, rauszufahren und es zu retten.

Kritiker bezeichnen Seenotretter als Schleuser – und so manche Schleuser kalkulieren Retter in ihr Geschäftsmodell mit ein.

Stadler: Die Mission von Sea-Eye ist darauf fokussiert, Menschen, die in Lebensgefahr sind, zu retten. Wenn Schleuser die Anwesenheit unseres Schiffes oder anderer Schiffe in ihr Geschäftsmodell einbeziehen, dann kann ich nur sagen, das ist übelst und verwerflich. Wir sind aber nicht Teil dieses Geschäftssystems. Sondern wir sind aufgerufen, die Menschen, die eigentlich Opfer dieses Systems sind, zu retten.

Trotzdem gibt es den Vorwurf, dass Sie zur Verschärfung des Flüchtlingsproblems beitragen.

119 Flüchtlinge sind dicht gedrängt an Bord der "Seefuchs", einem 60 Jahre alten Fischkutter.

119 Flüchtlinge sind dicht gedrängt an Bord der "Seefuchs", einem 60 Jahre alten Fischkutter. © Michal Dyjuk

Stadler: Es gibt aus dem letzten Jahr wissenschaftliche Untersuchungen von zwei britischen Universitäten, ob die Anwesenheit von Rettern einen Pull-Effekt auslöst, also ob sich da mehr Flüchtlinge auf den Weg machen. Das wurde aufgrund der Daten verneint. Außerdem: Jeder, der sich über unsere Einsätze echauffiert, sollte sich in einer stillen Stunde mal überlegen, was ihm passieren müsste, bevor er seine Familie und die Heimat verlässt, um unter Lebensgefahr an einen anderen Ort zu kommen.

Wie geht es jetzt mit Ihrem Einsatz weiter?

Stadler: Das ist eine schwierige Frage. Das Hin und Her zwischen Malta, Italien und Spanien zeigt auch die Zerrissenheit in Europa, was für einen Menschen wie mich, der 66 Jahre alt ist und immer begeistert war für die europäische Idee, traurig stimmt. Wir müssen jetzt darüber diskutieren, wie wir weitermachen können. Wir sind ja alles Ehrenamtliche. Die Aussicht, Menschen zu retten, aber dann nicht zu wissen, von wem sie aufgenommen werden, ist für uns eine unerträgliche Vorstellung. Darüber wird der Vorstand unseres Vereins in den nächsten Tagen befinden.

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