Nürnberger Stadtrand: Harvester fällen 1000 Bäume

19.4.2018, 05:41 Uhr
Nürnberger Stadtrand: Harvester fällen 1000 Bäume

© Fotos: Günter Distler

Das Funkgerät knistert. "Es ist schon wieder einer durch", sagt eine Stimme. "Das gibt‘s nicht, oder?", antwortet Hendrik van‘t Sant, Serviecestellenleiter der Bayerischen Staatsforsten. Ein paar Hundert Meter entfernt haut ein Audi den Rückwärtsgang rein, wendet und düst davon. Er ist nicht der erste Autofahrer, den "Achtung, Lebensgefahr!" in roten Lettern auf großen Warnschildern vor einer Absperrung nicht interessiert.

Davon bekommt Christian Ströbel nichts mit. Der 54-Jährige drückt eine Art Joystick behutsam nach vorne. Zwischen hohen Bäumen bahnt sich ein Koloss seinen Weg. Der Harvester (deutsch: "Ernter") greift mit seinem langen Auslegerarm nach der nächsten Kiefer, sägt sie ab und legt sie einigermaßen vorsichtig auf den Boden. Normalerweise würde Ströbel den Baum jetzt in Einzelteile schneiden. Doch dafür ist keine Zeit. Heute gilt es, Kilometer zu machen.

Um genau zu sein, fünf – in zwei Nächten. Denn so lang ist die Regensburger Straße von der Ecke Valznerweiher Straße stadtauswärts bis zur Autobahnauffahrt bei Altenfurt. Fünf Kilometer, auf denen gut 1000 Bäume gefällt werden müssen. "Das ist für uns kein alltäglicher Einsatz", so Heiko Stölzner, stellvertretender Forstbetriebsleiter. Er ist zusammen mit van‘t Sant auf der Strecke unterwegs, um zu schauen, "dass alles läuft".

Lange geplant

Seit gut zwei Monaten planen die beiden die Baumfällaktion, "die notwendig ist", wie sie sagen. Vor allem zahlreiche Birken und Kiefern haben den trockenen Sommer 2015 nicht gut überstanden und sterben nach und nach ab. "Für eine Bundesstraße ist die Regensburger Straße sehr schmal. Wenn hier ein Baum umfällt, bedeckt er alle vier Spuren", sagt Stölzner. Räumt aber auch ein: "Von den Bäumen, die wir fällen, sind noch nicht alle abgestorben, aber mindestens so kaputt, dass es nicht mehr lange dauert. Und wenn wir so etwas machen, dann so, dass wir für die kommenden fünf bis zehn Jahre Ruhe haben."

Der Aufwand ist groß, der Vorlauf war lang. Die stark frequentierte Straße, die die Stadt mit der Autobahn verbindet, musste in der Nacht zum Mittwoch sowie zum Donnerstag von 21 bis 5 Uhr komplett gesperrt werden – und wenn die Sonne aufgeht, darf kein Ast mehr auf der Fahrbahn liegen, kein Baum den Weg versperren. "Wir haben so etwas in dem Ausmaß noch nie gemacht, aber mit Erfahrungswerten haben wir einen Zeitplan erstellt und glauben, dass das zu schaffen ist", sagt van‘t Sant.

Seit 29 Jahren am Steuer

Momentan läuft es gut. Die Fahrer der vier Harvester sind Profis. Ströbel lässt sich bei seiner Arbeit über die Schulter schauen. Seit 29 Jahren fällt er Bäume. "Wir haben eine Ausschreibung für die Abholzaktion gemacht, rund 20 selbstständige Unternehmer haben sich gemeldet", erklärt Stölzner nebenbei. Vergleichsweise wenig, wenn man an andere städtische oder staatliche Ausschreibungen denkt. "So ein Harvester kostet ja auch zwischen 150.000 und 500.000 Euro. Das ist nichts, was man sich nebenbei anschafft."

Ströbel hat sich seinen Harvester irgendwann einmal angeschafft, und obwohl er seitdem zigtausend Bäume damit gefällt hat – dieser nächtliche Einsatz ist auch für ihn etwas Besonderes. "Normalerweise arbeitet man irgendwo im Wald – und vor allem am Tag", sagt er. Nun knistert auch sein Funkgerät. Dank der taghellen Scheinwerfer an seinem Harvester sieht er, dass der Forstmeister, der den nächsten zu fällenden Baum begutachtet, etwas in sein Funkgerät sagt, in der Führerkabine aber kommen nur Wortfetzen an. "So was ist schwierig in der Nacht", sagt Ströbel. "Am Tag schaue ich ihm in die Augen und weiß, was er will."

Allein der Harvester reicht nicht

Am Ende klappt die Verständigung doch noch: Der nächste Baum droht nicht gen Wald, sondern gen Fahrbahn zu fallen, wenn man ihn nicht vorher noch anschneidet. Der Forstmeister setzt dafür die Handsäge an. "Alles kann man allein mit dem Harvester eben auch nicht machen." Ströbel und seine Kollegen haben in dieser Nacht noch fünf Stunden vor sich. "Schauen wir mal, wann wir müde werden. Ich habe nur einmal durchgemacht bisher. Das war am 18. Geburtstag meiner Tochter."

In den kommenden Tagen werden die gefällten Bäume, die derzeit noch am Straßenrand liegen, geschnitten und abtransportiert. "Dann pflanzen wir noch kleinere Büsche und Sträucher, hauptsächlich für die Optik. Wichtig ist, dass die gesunden Bäume jetzt genügend Platz und Licht haben", sagt Stölzner — und hofft, dass bis zur nächsten Nachtschicht erst einmal zehn Jahre vergehen.

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