Psychologin erforscht Deutsche: Wir lieben kleine Freiheiten

21.6.2018, 10:50 Uhr
Psychologin erforscht Deutsche: Wir lieben kleine Freiheiten

© Foto: Michael Matejka

Im Piratenkostüm tritt Ines Imdahl auf die Bühne des Forums Lokaljournalismus. "Es kostet Überwindung, bei einem Fachvortrag nicht im Business-Outfit zu erscheinen", sagt die Geschäftsführerin des rheingold-Salons. Als Diplompsychologin betreibt sie Marktforschung und beleuchtet das Thema "Gesellschaft im Wandel – So ticken die Deutschen".

Doch mehrere Studien ergaben, dass den Deutschen kleine Freiheiten besonders wichtig sind. Und wer steht mehr für Freiheit als Piraten? Außerdem beschäftigte sie sich in mehreren Studien damit, wie harmoniebedürftig Deutsche sind und, warum Jugendliche danach streben, perfekte Fotos im Internet hochzuladen. Das gilt schnell als oberflächlich, doch die Diplompsychologin weiß, dass mehr hinter diesem Phänomen steckt.

Lieber Reise- als Pressefreiheit

Statt großer Freiheiten, ist es den Deutschen viel wichtiger, im Alltag frei entscheiden zu können. Welche Freiheit würden sie für 10 Millionen Euro aufgeben? So lautete eine Frage in der repräsentativen Studie "Der Preis der Freiheit". Das Ergebnis: Im Osten ist die Reisefreiheit ein sehr hohes Gut.

Meinungsfreiheit ist 41,8 Prozent der Befragten wichtig. Dahinter liegen mit rund 13 Prozent schon deutlich abgeschlagen körperliche und finanzielle Freiheit, gefolgt von freier Partnerwahl. Die Pressefreiheit, einer der zentralen Werte von Demokratien, landet mit 1,6 Prozent auf dem viertletzten Platz.

Wonach alle Deutschen laut verschiedener Studien streben, sei Harmonie. "Vielleicht liegt es an den zwei Weltkriegen, dass wir nicht als Aggressor gesehen werden wollen. Also beschwichtigen wir und vermeiden Konflikte in allen Alltagsbereichen", meint Imdahl. In Unternehmen sei das Ziel, diplomatisch Lösungen zu finden und beim Dating versuchten besonders junge Frauen, Verehrer möglichst höflich abzuweisen.

Jugendliche sind keine Rebellen

"Jugendliche wollen nicht rebellieren", stellt Imdahl in mehreren Studien fest. 14- bis 21-Jährige wünschten sich Kontrolle und Ordnung. Durch tiefenpsychologische Interviews fand die Marktforscherin heraus, dass diese Sehnsucht aus konkreten Krisen hervorgegangen ist – auf körperlicher, persönlicher und gesellschaftlicher Ebene. Die Jugendlichen empfinden die Pubertät als unkontrollierbaren Zustand, leiden unter Scheidungen und haben durch Finanz-, Euro- und Flüchtlingskrise das Gefühl, in einer Welt mit wenig Halt und Sicherheit zu leben.

Also geben sie viel Geld für Pflege und Kosmetik aus, Mädchen wie Jungen. "Das Äußere ist existenziell für sie und geht mit einer Ästhetisierungskultur einher", so Imdahl. In sozialen Netzwerken wie Instagram und Snapchat perfektionieren Jugendliche Selfies und laden Fotos ihres Essens hoch, um Anerkennung zu erhalten. Dabei erlebten sie gar nicht mehr den aktuellen Moment, sondern nähmen Erlebnisse erst nach dem Posten im Netz in einer Rückblende wahr.

"Erst einmal ist das nichts Schlechtes. Es hat Vorteile, nicht die ganze Zeit zu grübeln", findet Imdahl. Im nächsten oder übernächsten Jahr soll eine neue Studie entstehen. "Vielleicht sehen wir da schon einen Bruch. Ich denke, dass nach der Perfektion eine neue Rebellion kommt."

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