„Todesstrafe ist unwürdig für Rechtsstaat“ Das Recht auf Leben und Freiheit

4.8.2015, 19:31 Uhr
„Todesstrafe ist unwürdig für Rechtsstaat“ Das Recht auf Leben und Freiheit

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„Todesstrafe ist unwürdig für Rechtsstaat“ Das Recht auf Leben und Freiheit

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Nürnberg ist seit 1993 „Stadt des Friedens und der Menschenrechte“ und verleiht dieses Jahr zum zehnten Mal den Internationalen Menschenrechtspreis. Aber aus welchen 30 Artikeln  besteht eigentlich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte? Und welchen Bezug haben sie zu Nürnberg? Otto Böhm und Doris Katheder, das Autorenteam des „Grundkurs Menschenrechte“ der Akademie CPH, haben in Zusammenarbeit mit Christine Burmann dazu eine Interviewserie entwickelt und 30 Nürnberger oder mit Nürnberg in enger Verbindung stehende Persönlichkeiten zu jeweils einem Artikel befragt. Heute erläutert Rainer Huhle, Gründungsmitglied des Nürnberger Menschenrechtszentrums, den Artikel 3.

Worin besteht der besondere Wert dieses Menschenrechtes für Sie?

Rainer Huhle: Artikel 3 ist einer der kürzesten Artikel der Erklärung – und einer der merkwürdigsten. Leben, Freiheit, Sicherheit – wie soll das alles zusammengehen? Wir leben ja, muss uns dazu jemand das Recht geben? Die Staaten, die die Erklärung der Menschenrechte verabschiedeten, sind ja die einzigen, die sich das Recht, uns das Leben zu nehmen, vorbehalten. In der Tat fielen ihnen in den ersten Entwürfen für den Artikel 3 gleich zwölf Gründe ein, uns das Recht auf Leben zu verweigern. Drei davon brachte Südafrika, den Rest die USA ein. Wie schön, dass keiner davon in die Endfassung gelangte. Als es nicht mehr um eine Erklärung, sondern um einen Menschenrechts-Vertrag (1966) ging, bestanden die Staaten aber auf ihrem Recht, die Todesstrafe zu verhängen. Dennoch: Mit dieser bedauerlichen Ausnahme gilt das Recht auf Leben für Alle, es gibt kein „lebensunwertes Leben“.

Frühe Entwürfe dieses Artikels berücksichtigten vernünftigerweise, dass wir uns das Leben auch leisten können müssen. Sie schlossen daher das Recht auf Sozialhilfe in das Recht auf Leben ein. Der weise chinesische Delegierte fragte, ob sich das Recht nur auf unsere physische Existenz bezöge, oder ob Leben mehr sei als das? Oft übersehen wird der zweite Teil dieses Rechts, „Freiheit und Sicherheit der Person“, der oft noch durch „Würde“ ergänzt war, die dann in Artikel 1 ihren eigenen Platz fand. Entscheidend ist hier das „und“. Sicherheit darf der Freiheit nichts nehmen.

 

In welchem Bereich gibt es Ihrer Ansicht nach hier besonderen Erfolg?

Huhle: Schaut man sich die Zahlen über Todesopfer von Kriegen, Bürgerkriegen und Diktaturen seit der Verabschiedung dieses Menschenrechts an, fällt es schwer, von Erfolg zu reden. Hoffnung macht, dass immer mehr Staaten auf ihr Ausnahmerecht des Tötens mittels Todesstrafe verzichten. In Europa ist sie, mit Ausnahme Russlands, in Friedenszeiten ausgeschlossen. Immerhin 81 Staaten haben sich durch ein Zusatzprotokoll zum Menschenrechtspakt der UNO zur Abschaffung der Todesstrafe verpflichtet. Dass die Todesstrafe eines Rechtsstaats unwürdig ist, diese Erkenntnis gewinnt an Boden, auch und gerade weil die Todesstrafe immer noch in vielen Staaten angewandt wird.

Die massenhafte Ermordung von Menschen mit irgendwelchen unerwünschten Eigenschaften durch die Nationalsozialisten hat auch dazu geführt, dass „Euthanasie“ allgemein geächtet ist. Die Ernsthaftigkeit, mit der heute über einen rechtlichen Rahmen für Beihilfe zum Freitod diskutiert wird, ist ein gutes Zeichen.

 

Worauf muss in Zukunft besonders Wert gelegt werden?

Huhle: Immer noch sehen wir oft die Menschenrechte nicht wirklich als universell an, sondern begrenzen sie auf die Rechte von Staatsbürgern. Das Recht auf Leben als Menschenrecht bedeutet aber mehr. Es muss auch Flüchtlinge, Staatenlose und Ausländer einschließen. Und dabei sollten wir das Recht auf Leben in dem weiten Sinn verstehen, wie er in der Anfangszeit vielen präsent war: Leben ist mehr als das Gegenteil von Tod. „Leben, Freiheit und Sicherheit“, all das zusammen wird immer noch in vielen Ländern den „gewaltsam Verschwundenen“ verweigert, der Kampf gegen dieses „Verschwindenlassen“ bleibt eine wichtige Aufgabe.

Dringend notwendig scheint mir, das Verhältnis von „Freiheit und Sicherheit“ zu durchdenken. Der Artikel 3 meint eben gerade kein „Menschenrecht auf Sicherheit“ im Sinn des einstigen Bundesinnenministers, der es gar zum „Supergrundrecht“ erklären wollte. So wie es kein Recht auf Gesundheit, wohl aber auf einen Schutz vor krankmachenden Lebensbedingungen gibt, kann auch Sicherheit nicht als absoluter Gefahrenschutz eingefordert werden. Als Menschenrecht ist Sicherheit kein Anspruch auf staatliche Kontrolle, sondern auf Garantie, dass wir auch vor staatlicher Verfolgung sicher sind. „Freiheit von Furcht“, eine der vier von US-Präsident Roosevelt im 2. Weltkrieg proklamierten Freiheiten meinte genau dies.

Rainer Huhle, Dr. phil., Politikwissenschaftler; Gründungsmitglied des „Nürnberger Menschenrechtszentrum e.V.“, stv. Vorsitzender des Kuratoriums des Deutschen Instituts für Menschenrechte; Mitglied des UN-Ausschusses gegen das Verschwindenlassen von Personen; 1982—2007 tätig in der Jugend- und Erwachsenenbildung (seit 1990 mit Schwerpunkt Menschenrechtsbildung) bei der Stadt.

 

 

„Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ (Artikel 3)

Die Abschaffung der Todesstrafe ist ein grundlegendes Ziel von Menschenrechtsorganisationen, von amnesty international bis zur katholischen Gemeinschaft San Egidio. In noch nicht einmal 100 Staaten ist diese Ziel erreicht. Im Artikel 6 Abs. 2 des Internationalen Paktes für Bürgerliche und Politische Rechte (IPBPR), einer vertraglichen Konkretisierung der Menschenrechte aus dem Jahr 1966, heißt es: Die Todesstrafe darf „nur für schwerste Verbrechen aufgrund von Gesetzen verhängt werden“. Damit bekommen autoritäre und diktatorische Regime leider eine Steilvorlage. Die Abschaffung der Todesstrafe in Usbekistan ist das Ziel von Tamara Chikunova und ihrer Gruppe von betroffenen Müttern. Für ihren Einsatz bekam sie 2005 den Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreis. Wenn ein Staat oder eine mächtige gesellschaftliche Gruppe einer anderen ethnischen Gruppe das Recht auf Leben abspricht und entsprechend vorgeht, ist das Völkermord, so wie vor 20 Jahren in Ruanda. Für ihre beispielhafte publizistische und praktische Aussöhnungsarbeit zwischen den verfeindeten Volksgruppen in Ruanda, den Hutu und Tutsi, bekam Eugénie Musayidire im Jahr 2007 den Nürnberger Menschenrechtspreis.

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