"Realität ist ein Schlag in die Fresse": Ein Ex-Junkie erzählt

4.1.2018, 06:00 Uhr
Drogen wie Methamphetamin, kurz Crystal Meth, haben bei Dominik Forster Spuren hinterlassen, die wohl nie wieder verschwinden werden.

© Foto: Shutterstock Drogen wie Methamphetamin, kurz Crystal Meth, haben bei Dominik Forster Spuren hinterlassen, die wohl nie wieder verschwinden werden.

Herr Forster, Sie waren lange drogenabhängig, jetzt sind Sie erfolgreicher Buchautor. Wie haben Sie den Wandel geschafft?

Dominik Forster: Zunächst mal: Drogensüchtig werde ich immer bleiben. Nur bin ich jetzt clean. Dafür habe ich drei Faktoren gebraucht, die mich stabilisierten. Einen guten Job: Mit den Büchern habe ich meinen Traumberuf, mit dem ich sogar Geld verdiene. Gute Beziehungen: Ich habe meine Verlobte. Und einen sportlichen Ausgleich oder eine Leidenschaft. Die Sucht kommt immer dann, wenn die Droge einen dieser Faktoren ersetzt.

Wie hoch ist die Gefahr, dass Sie wieder rückfällig werden?

Forster: Über 90 Prozent aller Drogensüchtigen werden rückfällig. Nur wenige Menschen schaffen es raus – dazu zähle ich mich. Außerdem sterben 80.000 Menschen jährlich an den Folgen des Alkohols. Das muss man sich mal vorstellen: Eine Stadt wie Bayreuth säuft sich jedes Jahr einfach tot. Das will ich Schülern vermitteln. Doch wenn sie hören, dass ich zur "Prävention" und zur "Lesung" an die Schule komme, schalten viele von vorneherein ab.

Auch wenn ein junger Mann mit Tattoos am Hals wie Sie vor ihnen steht?

Forster: Das wissen die Schüler vorher ja nicht. Ich nenne es lieber Drogenbriefing, das in Richtung Comedy geht. Denn ich spiele verschiedene Charaktere: mein altes Ich, einen Therapeuten, den Rückfall, der immer kommt, wenn ich ihn am wenigsten brauche. Danach erzählen mir die Schüler von ihren Erfahrungen. Ich will ihnen beibringen, dass sie sich wertschätzen. Das haben mir meine Eltern nie beigebracht.

Was ist Ihre Erfahrung: Wie viele der Schüler, die Sie treffen, sind suchtgefährdet?

Forster: Fast alle. Die meisten wissen genau, wovon ich rede – und haben mindestens einen Süchtigen im Bekanntenkreis. Ich bin an allen möglichen Schulen in ganz Deutschland unterwegs: von der Mittelschule über das Gymnasium, ob ländlich oder in der Stadt. Die meisten kennen Sucht. Das ist ja das Schlimme!

Zwei Bücher hat Dominik Forster über seine Erfahrungen als Abhängiger bereits veröffentlicht.

Zwei Bücher hat Dominik Forster über seine Erfahrungen als Abhängiger bereits veröffentlicht. © F.: Meike Kreil

Das überspitzen Sie jetzt doch.

Forster: Ich erschrecke selbst jedes Mal, dass es so ist. Mir begegnen Mädchen, die gerade mal 15 Jahre alt sind, sie scheinen so klein und zerbrechlich. Viele wenden sich nach meinem Klassenbesuch über Direktnachrichten per Facebook oder Twitter an mich mit Fragen, die sie vor der Klasse nicht stellen wollten. Weil sie gemobbt werden, seit Jahren Drogen nehmen oder der Vater sie schlägt. Eine hat erst im Gespräch mit mir herausgefunden, dass es eben nicht normal ist, wenn der Onkel sie anfasst. Mädchen sind oft mutiger als Jungs, wenn es darum geht, sich Hilfe zu suchen. Diese Schicksale berühren mich wirklich. Deshalb stecke ich in die Aufklärung viel – vielleicht zu viel – Energie.

Nimmt Drogenprävention einen zu geringen Stellenwert im Lehrplan ein?

Forster: Es wird schon besser. Wenn ich aber an meine Zeit in der Herschelschule zurückdenke, dann war es doch so: Da steht einer vorne und erzählt mit erhobenem Finger, dass Drogen schlecht sind. Ja klar, das stimmt auch. Was er aber verschweigt: Das Gefährliche an diesen ist, dass sie erst mal wahnsinnig toll sind. Wären sie das nicht, würde sie keiner nehmen. Ich wünsche mir deshalb, dass meine Bücher als Pflichtlektüre gelten, und dass wöchentlich im Unterricht über Drogen debattiert wird. Wie sonst sollen Schüler lernen, wie es im wirklichen Leben läuft?

Wäre es nicht besser, wenn sich betroffene Schüler zuerst an offizielle Hilfseinrichtungen richten?

Forster: Das ist ja genau das, was bei mir nicht funktioniert hat. Schüler wollen eben nicht dorthin. Und falls doch, sitzen dort allzu oft lustlose Mitarbeiter, die keine große Hilfe sind.

Sie halten nicht so viel von beispielsweise der Mudra, der Jugend- und Drogenhilfe in Nürnberg, oder?

Forster: Doch, die Einrichtung ist gut. Sie ist anders als die Hilfsstellen, die ich während meiner Sucht kennengelernt habe. Die Mudra erwartet nicht, dass Süchtige clean und frisch geduscht zum Beratungsgespräch erscheinen. Andere Therapie-Einrichtungen tun genau das. Letztere wollen, dass Betroffene den einen Weg stupide verfolgen. Da ist etwa auch Hip-hop-Musik verboten, weil sie angeblich nur von Drogen handelt. Die Mudra weiß: Das ist völlig unrealistisch. Aber sie kann halt auch nicht zaubern. Sie kann auch nicht sagen: "Hier, bitte, der Schlüssel zu deinem neuen Leben. Es ist schon bezugsfertig." Es gibt tausend verschiedene Wege, in die Sucht zu geraten. Genauso viele Wege gibt es aber wieder raus.

Sie waren zweieinhalb Jahre im Gefängnis, weil sie mit eineinhalb Kilo Speed erwischt wurden. Wie lange dauerte es, bis Ihre Erfolgsgeschichte ihren Lauf nahm?

Forster: Meine Resozialisierung nach dem Gefängnis und der anschließenden Therapie hat nicht auf Anhieb geklappt. Die Realität ist wie ein Schlag in die Fresse. Dabei wurde mir im Gefängnis erzählt: "Wenn du nicht mehr kriminell bist, dann stehen dir alle Türen offen." Ich bin voller Hoffnung rausgekommen. Doch dann stand ich bei meinen Eltern vor der Tür: Die Mutter immer noch medikamentenabhängig, der Vater säuft, der Bruder nie zu Hause. Ich habe meine Familie zum ersten Mal in meinem Leben so gesehen – ohne selbst auf Drogen zu sein.

Das hat mich völlig überfordert. Und auch das andere hat nicht sofort geklappt: Mit Vorstrafe habe ich keinen Job gekriegt, mit Schufa-Eintrag keine Wohnung, ohne Wohnung kein Hartz IV. Nicht mal Netto wollte mich für einen Nebenjob – mit meinem Führungszeugnis. Also wurde ich auch noch alkoholabhängig. Das verarbeite ich in meinem zweiten Buch. Im ersten, "Crystal.klar", geht es eher um die Zeit davor, wie ich in die Drogensucht geraten bin und es wieder rausgeschafft habe.

Mittlerweile sind Sie beide Süchte wieder los. Welche Spuren hat das bei Ihnen hinterlassen?

Forster: Ich habe seit acht Jahren keine Drogen konsumiert, fünf Jahre nichts getrunken. Ich versuche, gesund zu leben. Mein Kopf wird langsam wieder klar. Viele Schüler fragen, wieso ich nicht so abgefuckt aussehe wie diese typischen Meth-Junkies. Man sieht es mir nicht an, aber ich habe Asthma, eine kaputte Bauchspeicheldrüse und eine posttraumatische Störung. Die Liste an Folgen ist lang.

Wie ist die Drogenszene in Nürnberg?

Forster: Traurigerweise muss ich sagen, dass es hier alles gibt: Heroin, Ecstasy, Kiffen. Und die jeweiligen Szenen werden immer größer. Zu meiner Zeit war das noch nicht so schlimm. Aber heute kann man sich Drogen viel leichter beschaffen, durch das Internet. Man muss nicht mehr an der Bushaltestelle stehen und stundenlang auf den Dealer warten. Das ist nicht nur in Nürnberg so, Drogen gibt es überall.

Können die vieldiskutierten Drogenkonsumräume eine Lösung sein?

Forster: Ja. Es wird sowieso konsumiert. Auch wenn man das noch so totredet. In den Räumen kann man den Konsum wenigstens kontrollieren und saubere Spritzen verteilen.

Nürnberg hat sehr viele Drogentote. Was kann man dagegen tun?

Forster: Das, was alle Städte tun können: mehr Prävention und Aufklärung – vor allem in der Schule. Aber dazu müssten sie ja zugeben, dass sie ein Drogenproblem haben.

Gras legalisieren: ja oder nein?

Forster: In Bayern wird Cannabis zu streng verfolgt. Als ich 18 Jahre alt war, haben Polizisten mich mit gezogener Waffe aus dem Auto gezogen, weil ich Cannabis dabei hatte. Weil das so streng gehandhabt wird, ist die Szene mit Kräutermischungen hier besonders groß. Die sind ja legal, weil sie keine einheitliche Formel haben, die verboten werden kann. Dabei sind sie viel gefährlicher als Cannabis: Kräutermischungen können blind machen, Jugendliche sind schon dran gestorben (die NZ berichtete mehrfach). So lange der Staat eine Droge wie Alkohol erlaubt, bin ich auch für eine Legalisierung von Cannabis. Denn dann wäre wenigstens eine gewisse Qualitätskontrolle gewährleistet. Insgesamt muss aber noch mehr in die Aufklärung über die Gefahren aller Drogen investiert werden.

Die Bücher von Dominik Forster:

"crystal.klar", 2017, Ullstein Taschenbuchverlag, 9,99 Euro

"klar.kommen", 2017, fabulus Verlag, 15 Euro

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