"Sauerei": Warum gehen so wenige Nürnberger wählen?

22.9.2017, 05:35 Uhr

© Foto: Michael Matejka

Mittagszeit am Hasenbuck. Ein älterer Herr in blauer Arbeitskleidung, mit Brille, Mütze und schwarz gefärbten Haaren, inspiziert die Mülltonnen. Er ist der Hausmeister der Wohnanlage und 65 Jahre alt. "Ein bisschen hab ich aber noch." Vorfreude auf die Rente? "In den Kassen ist doch kein Geld mehr drin, dabei waren die 1985 noch voll", sagt er mit einem Schulterzucken. Auch aus diesem Grund geht der Mann heuer wieder zur Wahl, 2013 hat er gestreikt. "Die sagen immer, es geht den Leuten so gut wie noch nie, aber das stimmt nicht." Er arbeite Vollzeit als Hausmeister, seine Frau habe zwei Jobs, "nur so können wir das Leben führen, das wir gerne hätten", sagt er.

Man sollte gesetzlich festlegen, dass man nur acht Jahre am Stück in Deutschland Kanzler sein darf – Angela Merkel ist seit 2005 im Amt. "Immer die gleiche Schiene", grummelt der Mann. Und überhaupt, zum Thema Flüchtlinge habe er auch etwas zu sagen: "Bei uns müssen Menschen aus ihren Wohnungen ausziehen, dass da die Flüchtlinge reinkönnen, das ist eine Sauerei." Ob das hier passiert sei, in seiner Wohnanlage? "Na, das passiert in Nürnberg, in Fürth, das habe ich gehört." Auf die Frage, ob er die AfD wählen wolle, druckst der Mann herum und widmet sich wieder den Mülltonnen. "Da halte ich mich jetzt zurück, aber es muss sich was ändern."

Die nächsten drei Frauen, die im Hasenbuck die Straße entlangkommen, können und wollen nichts sagen zur Bundestagswahl. Alle sind sehr gepflegt, entschuldigen sich mit Gesten, man spreche nicht gut genug Deutsch. Ein Rentner mit Einkaufstüten in beiden Händen vermutet, dass die niedrige Wahlbeteiligung an den vielen Ausländern im Viertel liegt. "Vor 30 Jahren war das noch ganz anders, da war hier noch alles in den Händen der SPD." Im Kindergarten ums Eck liege der Anteil der ausländischen Kinder bei 60 Prozent. "Nicht dass mich das stört, ich bin gewerkschaftsorientiert."

Sein Kreuzchen hat er bereits per Briefwahl gemacht. Wählen gehe er immer, "schon aus Prinzip". Wenn er irgendwann aus der Gegend wegziehen müsse, sei jedoch nicht das Umfeld schuld. "Zweiter Stock ohne Aufzug", sagt der Mann und macht sich mit seinen Tüten auf den Weg, "das geht irgendwann nicht mehr." Ein älterer Herr – grauer Bart, randlose Brille, blaue Daunenweste und Goldkettchen um den Hals – ruft im Vorbeigehen: "Politik ist mir so scheißegal wie nur irgendwas. Man wird da wie dort doch eh nur beschissen." Wählen gehe er aber trotzdem, schiebt er noch schnell hinterher.

Starke Unterschiede in der Wahlbeteiligung 

Eine junge Frau mit langen blonden Haaren und Kinderwagen hat gerade ihre kleine Tochter aus der Kita geholt, aus der mit dem Ausländeranteil von 60 Prozent. 40 Euro muss sie pro Monat für den Betreuungsplatz zahlen, aufs Jahr gerechnet seien das fast 500 Euro, "ein Batzen Geld". Die 30-Jährige und ihr Mann gehen beide Vollzeit auf die Arbeit, gemeinsam haben sie drei Kinder, das älteste ist 14. Ob sie wisse, dass die SPD die Kita-Gebühren abschaffen möchte, wenn sie an die Macht kommt? Nein, das habe sie nicht gehört, sagt die Erzieherin. "Ich hab mich aber auch nicht informiert."

2013 war sie nicht wählen, ob sie heuer geht, entscheide sie spontan. "Die Politiker versprechen viel und halten nichts." Zum Beispiel sollten Steuersenkungen kommen. "Wir haben jetzt 20 Euro mehr im Monat als vorher, das reicht gerade mal für eine Jacke oder eine Hose für die Kinder und dann ist das auch schon wieder weg." Neben Gebieten im Hasenbuck war auch in Teilen Langwassers und Schweinaus die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013 mit um die 44 Prozent ziemlich niedrig. Gegenden in Erlenstegen und Thon kommen auf weit über 80 Prozent. Im Stadtdurchschnitt betrug sie 66,9 Prozent.

"Wir haben festgestellt, dass die Wahlbeteiligung zum Beispiel in Gebieten, in denen viele Ein- und Zweifamilienhäuser vorkommen, wenige soziale Probleme oder so etwas sichtbar sind, sehr gut ist", sagte der Nürnberger Wahlamtsleiter Wolf Schäfer kürzlich dem BR. Im Gegensatz zum Stadtnorden ist im Süden die Arbeitslosigkeit der Bürger höher, Einkommen und Bildungsstand sind im Schnitt niedriger.

Die Giesbertsstraße in Langwasser ist dennoch ein Hort der Beschaulichkeit. Ein gepflegtes Wohnviertel mit vielen Mehrfamilienhäusern und grünen Rasenstücken. Auf den Stellplätzen steht neben den vielen VWs und Opel auch immer wieder ein Mercedes. "Ich weiß schon, wen ich wähle", sagt ein Rentner, der zwischen zwei Regenschauern ein bisschen spazieren geht. "So wie sonst auch immer: nämlich Schwarz." Seine Frau und er gehen immer wählen, "das ist unsere Pflicht". Außerdem wolle er mitbestimmen. Mit allen Positionen der CSU könne er sich zwar nicht anfreunden, aber diese Partei ist dem 67-Jährigen immer noch lieber als alle anderen. "Ich bin zufrieden mit Angela Merkel." Warum so viele Menschen hier nicht wählen gehen, weiß er auch nicht. "Ich glaube, die sind nicht glücklich mit ihrem Leben und gehen aus Protest nicht wählen."

Unzufriedenheit und fehlender Schwung

Eine Frau, die gerade von der Arbeit kommt, hat eine andere Vermutung. "Die Wahlbeteiligung bei uns ist so niedrig, weil hier so viele Ausländer leben: Syrer, Polen und Russen", sagt sie. Vor ein paar Jahren sei das noch anders gewesen. Die 59-Jährige ist geringfügig im Einzelhandel beschäftigt und schwankt zwischen zwei Parteien. "Die, die ich 2013 gewählt habe, ist nicht mehr dabei." Sie sei nicht zufrieden mit den Entscheidungen der Regierung, "man muss mal einen neuen Schwung, eine andere Perspektive reinbringen", sagt sie. Ein Merkel-Fan klingt anders.

Die junge Mutter mit den zwei Kindern hingegen kann mit Politik überhaupt nichts anfangen: "Ich war 2013 nicht wählen und gehe auch heuer nicht. Meine Stimme ändert eh nichts, das sollen die anderen machen", sagt sie und schiebt dem Baby im Kinderwagen den Schnuller in den Mund. Überhaupt sei Politik in ihrer Familie noch nie ein großes Thema gewesen. "Ich weiß nicht mal, ob meine Eltern zur Wahl gehen." Wenn sie den Fernseher anschalte und eine Wahlsendung laufe, könne sie sich das Ganze gerade mal fünf Minuten anhören, dann bekomme sie Kopfschmerzen. "Es wird sich eh nichts ändern, egal wer regiert. Versprochen wird immer viel, aber gehalten wird nichts", ist die 25-jährige gelernte Verkäuferin überzeugt. "Ich bin mit meinem Leben zufrieden."

Ein Student, der seine Freundin in der Glogauer Straße zur Arbeit begleitet, ist da anderer Meinung: "Es wird nicht besser, wenn man nicht zur Wahl geht." Er sehe seine Wahlberechtigung als Chance, Anteil zu nehmen an der Demokratie. 2013 hat er für die Piraten gestimmt. Aber weil es wenig wahrscheinlich ist, dass die Partei dieses Jahr den Einzug in den Bundestag schafft, will der 27-Jährige die Linke wählen.

Persönlichkeit spiele wichtige Rolle

Die SPD sei keine Option "Die haben ihren linken Auftrag aufgegeben, und zwar nicht erst seit der GroKo, sondern schon mit der Agenda 2010." Von den Linken fühle er sich noch am ehesten vertreten. "Und gerade in diesen Zeiten sollte man dem allgemeinen Rechtsruck, den die AfD provoziert hat, ein linkes Element entgegensetzen." Mit den Rechtspopulisten kann der junge Mann im grauen Jogginganzug herzlich wenig anfangen. "Ich bin in Langwasser aufgewachsen, meine halbe Klasse war voller Migranten. Ich glaube, Menschen sind Menschen, egal wo sie herkommen."

Auch ein 32-Jähriger, der an der Universität als studentische Hilfskraft arbeitet und zur U-Bahn will, wird nicht die SPD wählen. 2013 habe er seine Stimme noch den Sozialdemokraten gegeben, sagt er, aber "Martin Schulz ist nicht mein Kanzler". Angela Merkel hingegen sei staatsmännischer, "von ihr fühle ich mich mehr repräsentiert". Obwohl er sich auch aufgrund der "geänderten Wahlprogramme", wie der 32-Jährige sagt, für die CSU entschieden hat, spiele vor allem die Persönlichkeit der Kandidaten eine wichtige Rolle. Die lokalen Vertreter kenne er aber nicht – trotz der vielen Wahlplakate in der Stadt.

"Die habe ich schon mal gesehen", sagt dagegen eine Rentnerin in Schweinau, angesprochen auf die beiden Direktkandidaten im Süden, Michael Frieser (CSU) und Martin Burkert (SPD). Sie gehe "für mehr Gerechtigkeit" zur Wahl, dass "die Richtigen an die Macht kommen". Die gepflegte 77-Jährige mit Handtasche und Kostüm ist mit der Politik eigentlich zufrieden. Seit 43 Jahren lebe sie hier im Viertel, "ich bin gut an die öffentlichen Verkehrsmittel angebunden und es gibt genug Läden, wo ich mich versorgen kann", sagt sie. "Ich würde mir aber wünschen, dass die Asylanten gefügiger werden. Die müssen sich schon an unsere Gesetze halten, wenn sie hier leben wollen." Außerdem wundert sie sich, warum so viele junge Männer da sind. "Was machen die mit den Frauen, haben sie die daheim gelassen? Das verstehe ich nicht."

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