Schockbilder: Was bringen Raucherbeine und Co.?

1.9.2016, 08:58 Uhr
Schockbilder: Was bringen Raucherbeine und Co.?

© Roland Fengler

Angeschlossen an zahlreiche Maschinen und umringt von Kabeln, liegt ein junger Mann in einem sterilen Krankenhausbett. Seine Frau und die kleine Tochter sitzen daneben, blicken traurig auf den im Sterben liegenden Mann und Vater.

„Die nehme ich“, sagt Walter Gerschner. Geduldig hatte die Verkäuferin in dem kleinen Kiosk gewartet, bis ihr Kunde unter acht Zigarettenschachteln die gefunden hat, deren Schockbild ihm noch am besten gefällt. „Ich kenne das schon. Das machen viele“, sagt sie gelassen, während sie die anderen sieben Schachteln wieder ins Regal zurückräumt. Hin und wieder kämen auch Kunden, die die Bildchen sammeln. „Makaber, aber wahr“, sagt die Nürnbergerin.
Ausgeschlossen hatte Walter Gerschner unter anderem die schwarze Lunge und das Raucherbein. „Das muss ich wirklich nicht den ganzen Tag neben mir auf dem Tisch liegen haben.“ Gerschner raucht seit 35 Jahren. Ein Grund aufzuhören, sind die Bilder für den Nürnberger nicht: „Ich weiß, dass Rauchen schädlich ist. Dafür brauche ich keine Fotos.“

Im Mai eroberten die Warnhinweise in Bildform nach und nach die Zigarettenregale. Mindestens zwei Drittel der Vorder- und Rückseite einer Schachtel müssen laut einem seit 20. Mai geltenden Gesetz davon bedeckt sein. Einen „Gewöhnungseffekt“ hat der Gesetzgeber dabei auch bedacht. Die 14 Motive wechseln jährlich. Aber was bringen sie eigentlich?

„Nichts“, sagt Friedmar Müller. Der Betreiber von fünf Tabakläden im Nürnberger Hauptbahnhof glaubt, dass das, was der Gesetzgeber erreichen wollte, „gründlich danebengegangen“ ist. Die Bilder seien ein Riesen-Aufwand für nichts, so Müller, den sein gleichbleibender Zigaretten-Umsatz bestätigt. Ein Riesen-Aufwand für ihn sind die Bilder aber, weil er in seinen Läden neue Regale einbauen musste. Die neuen Regale sind mit Blenden vor den Schachteln versehen. "So erkennen die Verkäufer die Marken leichter", sagt Müller.

Die Tabakfirmen machen sich da eine Gesetzeslücke zunutze: Sie decken die Schachteln mit einer am Regal angebrachten Blende ab. Eine Möglichkeit, die der Gesetzgeber so nicht gewollt, aber eben auch nicht ausgeschlossen hat.

„Die Tabakproduktrichtlinie ist, wie der Name schon sagt, eine Produktrichtlinie, die die Aufmachung und Gestaltung des Produkts regelt. Sie ist aber keine Warenpräsentationsrichtlinie. Dem Händler steht es somit nach wie vor frei, wie er seine Waren im Ladengeschäft präsentiert“, sagt Jennifer Wieckhorst, Sprecherin der British American Tobacco GmbH dazu auf Anfrage der Lokalredaktion.

Eins haben die Schockbilder mit dem Schlupfloch natürlich verfehlt: ihre abschreckende Wirkung, vor allem auf Jugendliche.

Aber längst nicht alle Nürnberger Läden, die Zigaretten führen, haben derartige Blenden. Selina Smolka befürchtet, dass sie ihr Kind irgendwann einmal in keinen Supermarkt mehr mitnehmen kann. Die werdende Mutter stand vor kurzem an der Kasse eines Nürnberger Supermarktes. Dort waren große Tabakdosen aufgereiht — auf denen die Schockbilder entsprechend größer sind. Ohne Blende, die die schwarze Lunge und das blutende Raucherbein abdeckt.

Selina Smolka hat dieser Anblick so aufgeregt, dass sie sich von der Geschäftsleitung des Marktes über das Jugendamt, das Bürgermeisteramt bis nach Berlin durchtelefonierte. „Aber keiner fühlte sich zuständig. Mir wurde nur gesagt, dass die Bilder jugendfrei seien. Also Entschuldigung, daran habe ich Zweifel“, sagt sie. Und hat dafür gute Gründe: Der Sohn ihres Cousins, eineinhalb Jahre alt, habe die Schachtel von seinem Papa gesehen und hatte daraufhin schwere Alpträume. „Seitdem versteckt der Vater seine Zigaretten“, sagt sie. Die Behörden, bei denen sich die Nürnbergerin beschwert hatte, hätten ihr teilweise sogar geraten, ihr Kind einfach nicht mit zum Einkaufen zu nehmen. „Und dann soll ich mein Kind im Sommer im Auto sitzen lassen?“, fragt sie aufgebracht.

Für Kinderaugen verbieten könne man die Bilder nur, wenn bereits ein psychischer oder physischer Schaden entstanden sei oder abzusehen ist, dass ein solcher entstehe, erklärt das Jugendamt dazu.

Schockbilder: Was bringen Raucherbeine und Co.?

© Roland Fengler

Die Bilder für richtig und wichtig hält Professor Joachim Ficker, Chefarzt der Pneumologie im Klinikum Nürnberg. „Rauchen ist die bedeutendste vermeidbare Ursache für Krankheiten und Tod weltweit“, sagt er. Daran zu erinnern, sei angebracht. Dass Raucherbein, schwarze Lunge oder der sterbende Vater in Bildform einen chronischen Raucher überzeugen, das Rauchen aufzugeben, glaubt der Mediziner aber nicht: „Ein chronischer Raucher ist es gewohnt, Krankheit und Tod zu verdrängen“, so Ficker. Er finde es dennoch wichtig, mit solchen Bildern das Image des Rauchens richtigzustellen. „Ich glaube, in zwei Generationen wird es kaum noch Raucher geben.“ In den vergangenen zehn Jahren sei die Nachfrage nach einer Rauchentwöhnung im Klinikum Nürnberg stetig gestiegen. „Eine Zigarette kostet einen Raucher acht Minuten Leben“, weiß Ficker.

Pro Jahr sterben laut der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler, etwa 110 000 Raucher an den Folgen ihres Zigarettenkonsums. In spezieller Weise zu spüren bekam die Auswirkungen der Schockbilder kürzlich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Die Tabaksteuer-Einnahmen brachen im Juli um satte 48 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein. Hintergrund: Die Hersteller produzierten wegen der bevorstehenden Schockbilder-Pflicht im März und April noch einmal deutlich mehr Tabakerzeugnisse ohne Motive und bremsten dann ihre Produktion — um Rauchern den Anblick blutiger Beine und schwarzer Lungen so noch möglichst lange zu ersparen.

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