Schreiben mit offenem Ende

20.7.2017, 13:11 Uhr
Gerd Fürstenberger

© Pia Rubner Gerd Fürstenberger

Am Wochenende ist Kirchweih in St. Johannis. Und die wird seit zwanzig Jahren von der Reihe „Kunst-Kirchweih-Kultur“ begleitet. Auch dieses Mal stellen wieder Künstlerinnen und Künstler aus St. Johannis zusammen mit Gästen in der Galerie der Friedenskirche am Palmplatz aus. Als da wären: Lena Dobner, Jürgen Gesell, Sabine Hegenbeck, Elena Kaganovskaya, Anneliese Kraft, Irene Kress-Schmidt, Jürgen Kummer, Else Löhe, Lena Miller, Marion Pichardt, Fridrich Popp, Pia Rubner und Sigurd Vogel. Die Ausstellung startet am morgigen Donnerstag, 22. Juni, um 20 Uhr. Die Vernissage wird musikalisch begleitet von Angelika Traurig am Saxofon und Peter Pelzner an der Gitarre. Am Freitag, 23. Juni, wird außerdem der Nürnberger Schriftsteller Gerd Fürstenberger um 17 Uhr im Rahmen von „Kunst-Kirchweih-Kultur“ lesen.

Im Mittelpunkt steht dann sein aktueller Erzählband „Kaleidoskop“. Über den schrieb der Journalisten-Kollege Bernd Zachow aus dem Feuilleton: „Fürstenbergers Figuren kennen sich selbst nicht (mehr) oder mögen zumindest das nicht recht, was sie in sich zu erkennen glauben. Gern würden sie in eine andere Haut schlüpfen. Derart verunsichert, neigen sie zu kleinen oder auch großen Fluchtversuchen ins Sonderbare, Abseitige, in Isolation, Illusion und Ignoranz, in Wahn, Schlaf und Traum.“ Gerd Fürstenberger schreibt weder für Zielgruppen noch zum eigenen Zweck. Im Brotberuf Journalist, versucht er stets, auch literarisches Schreiben als Alltag zu sehen – und nicht als Sahnehäubchen. „Es bedeutet mir viel, allerdings verdient man damit kein Geld.“ Vier Bücher hat der gebürtige Pfälzer und studierte Philosoph, den es vor vielen Jahren für ein Radio-Praktikum nach Nürnberg verschlug, bislang vorgelegt: Drei Erzählbände und einen Gedichtband. „Schreiben ist für mich wie Reisen an unbekannte Orte“, sagt der Autor. „Da finde und beschäftige ich mich mit Dingen, die es schon gibt, die ich aber noch nicht kenne. Das Schreiben führt mich an solche Orte. Das Spannende ist für mich also das Unbekannte, das ich erkennen und begreifen will. Es gibt Dinge, denen nähert man sich erzählend am besten.“ So lässt sich Fürstenberger von seinen oft halbwirklichen Geschichten tragen. Wenn er zu schreiben beginnt, weiß er nie, wo und wie es endet. Weshalb Schreiben für ihn eine Art zweites Leben ist, das er führt. „Ich versuche zuzuhören, wie sich die Geschichte entwickeln will. Das macht es für mich spannend. Als Autor stehe ich nicht gottgleich über der Geschichte, sondern höre zu. Deshalb liegen Schreiben und Lesen für mich sehr nah beieinander.“

Dass Gerd Fürstenberger bislang noch nie einen Roman geschrieben hat, ist weder Zufall noch Absicht – und ganz sicher auch keine Antipathie. „Gar nicht! Aber ich finde es bedauerlich, dass der Roman in der Literatur oft als Königsweg angesehen wird. Es gibt so viele ganz wunderbare Erzählungen. Aber eines Tages werde sicher auch ich einen Roman schreiben . . .“ (Außer am Freitag bei der Kirchweih in St. Johannis kann man Gerd Fürstenberger am Samstag, 1. Juli, um 15 Uhr im Rahmen von „StadtLESEN!“ in der Konrad-Adenauer-Anlage in Fürth erleben.) Seine KulTour-Tipps: „Neben Franz Kafka war Jorge Luis Borges in meiner Jugend ein ganz prägender Autor, auf den ich immer wieder zurückkomme. Der Argentinier hat eine ganz eigene Art von fantastischer Literatur begründet, die gedanklich hochinteressant ist. Seine Essays sind wunderbar, außerdem hat er viel über Literatur geschrieben . . . und übrigens nie einen Roman.“ Zuletzt hat Gerd Fürstenberger einen Autor entdeckt, von dem er gleich fünf Bücher verschlungen hat: W.G. Sebald. „Einsteigern würde ich ,Die Ausgewanderten‘ empfehlen. In den vier Erzählungen ist weniger das Thema ausschlaggebend als der Ton. Sein Format ist zwar die Prosa, doch seine halbfiktiven Figuren und Charaktere folgen stets einer Melodie der Trostlosigkeit. Man kann hier schon fast von einer Art Erinnerungsarchäologie sprechen . . .“

Gespannt ist Fürstenberger auf die „Performance der Künstlerinnen und Künstler“, die am Kirchweih-Sonntag, 25. Juni, um 16 Uhr im Rahmen von „Kunst-Kirchweih-Kultur“ stattfinden wird. Ebenfalls am 25. Juni eröffnet um 17 Uhr die Ausstellung „Nachtstücke“ in der Galerie Bernsteinzimmer, Großweidenmühlstraße 11, die Gerd Fürstenberger sehr schätzt. André Debus, Jan Gemeinhardt, Martin Fürbringer, Mathias Otto und Roger Libesch stellen dort bis 30. Juli aus — jeweils Samstag und Sonntag, 15 bis 19 Uhr; www.galerie-bernsteinzimmer.de Neulich hat der 56-Jährige, der nebenher als Dozent in Integrationskursen arbeitet, wieder mal das Dokumentationszentrum am ehemaligen Reichsparteitagsgelände besucht – und war erneut begeistert von dem Museum. „Nirgendwo erfährt man besser als hier von der Verführungskraft des Populismus und wo diese hinführen kann!“ Und zum Schluss sein Gastro-Tipp: Wenn man, wie Gerd Fürstenberger, gerne spazieren geht, dann könnte man an einem schönen Tag die Pegnitz entlang Richtung Großweidenmühlstraße laufen – und dort im Zumikon-Haus im „Johan – Speisekammer mit Garten“ mit Blick auf den Fluss bei einem koffeinhaltigen Heißgetränk die Seele baumeln lassen.

STEFAN GNAD

www.kunst-kirchweih-kultur.de

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