Ein Jugendhaus vor dem Abriss

„Schwedenbaracken“ prägen Erinnerungen

18.2.2019, 14:45 Uhr
Das südliche Wohngebäude in der Hirsvogelstraße 11 im Jahr 2015. Der Turm in Hintergrund gehört zur 1956 erbauten Katholisch-Apostolischen Kirche.

© Sebastian Gulden Das südliche Wohngebäude in der Hirsvogelstraße 11 im Jahr 2015. Der Turm in Hintergrund gehört zur 1956 erbauten Katholisch-Apostolischen Kirche.

Wer heute „schwedisches Design“ hört, denkt unweigerlich an jene weltbekannte Möbelhauskette, in der sich die Mitarbeiter untereinander und sogar ihre Produkte mit dem Vornamen ansprechen. Doch „Design made in Sweden“ war und ist viel mehr. Seit über einem Jahrhundert gehört funktionales und ästhetisches Gestalten dort zum guten Ton. Kein Wunder also, dass Schweden als eines der Mutterländer des Fertighauses gilt.

Vom schwedischen Design profitierten auch die Nürnberger, als ihre Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche lag. „Rädda Barnen“, der schwedische Ableger der Wohlfahrtsorganisation „Save the Children“ (Rettet die Kinder), fasste 1949 den Entschluss, der notleidenden Jugend unter die Arme zu greifen – und zwar nicht durch Almosen, sondern durch „Hilfe zur Selbsthilfe“.

Der Verein stiftete ein Wohnheim für Lehrlinge, ausgestattet mit kleinen, aber feinen Mehrbettzimmern, Speisesaal, Aufenthaltsraum, Theatersaal, Bibliothek und – jetzt kommt’s – einer Sauna. Es sollte eine zweite Heimat insbesondere für jene werden, die durch die Folgen des Krieges fast alles verloren hatten: die Heimatvertriebenen.

Diese Mehrbildkarte gab’s ab 1951 im „Rädda Barnen“ zu kaufen. Wer wollte, konnte damit den Lieben daheim das Zuhause in der Ferne zeigen.

Diese Mehrbildkarte gab’s ab 1951 im „Rädda Barnen“ zu kaufen. Wer wollte, konnte damit den Lieben daheim das Zuhause in der Ferne zeigen. © Foto-Meyer (Sammlung Sebastian Gulden)

Der Stadt Nürnberg fiel nun die Aufgabe zu, ein geeignetes Grundstück für das Lehrlingsheim aufzutreiben: Nachdem sich die Optionen an der Amberger- und der Dutzendteichstraße zerschlagen hatten, machte am Ende der Geländestreifen am östlichen Rand des Cramer-Klett-Parks das Rennen. Mit Förderung des Freistaats Bayern begannen 1950 die Bauarbeiten an der Kanalisation und den Kellerräumen.

Alle Bauteile für die beiden Wohnhäuser und das Wirtschaftsgebäude – es waren zweigeschossige Fachwerkbauten mit einer Verkleidung aus Holzplanken und flachen Satteldächern – lieferte die Firma Anebyhus aus dem südschwedischen Småland, inklusive Möbeln und allem Pipapo.

Am 4. Mai 1951 war es dann so weit: In einer musikalisch untermalten Feierstunde mit Vertretern der Stadt und den Bauleitern Gunnel Warberg und Axel Husberg wurde das Nürnberger „Rädda Barnen“ seiner Bestimmung übergeben.

Klaus Burgemeister (ganz links), der 1968 bis 1969 im „Rädda Barnen“ lebte, mit vier seiner Kameraden vor einem der Wohnhäuser.

Klaus Burgemeister (ganz links), der 1968 bis 1969 im „Rädda Barnen“ lebte, mit vier seiner Kameraden vor einem der Wohnhäuser. © privat (Sammlung Klaus Burgemeister)

Es dauerte nicht lange und die drei Holzhäuser mit ihrem fröhlichen grün-beigen Anstrich hatten ihren Spitznamen weg: „Schwedenbaracken“ nannten sie die Nürnberger, und nicht wenige werden trotz des spöttischen Untertons doch ein wenig neidisch gewesen sein auf die jungen Burschen, die sich in Notzeiten über ein einfaches, aber gemütliches Zuhause mitten in der Stadt freuen konnten.

Nachdem Generationen junger Lehrlinge in den Häusern gewohnt, gelebt und gelernt hatten, erlebten die Schwedenhäuser einen zweiten Frühling als Domizil des Spieleclubs „Ali Baba“ und Spielhaus des Nürnberger Jugendamtes.

Allein, die Holzbauten waren von Anfang an nicht für die Ewigkeit bestimmt gewesen. Obschon es Mittel und Wege gegeben hätte, die mittlerweile unter Denkmalschutz stehenden Häuser zu retten, scheiterten die Hoffnungen letzten Endes wieder einmal am lieben Geld.

So ist heuer nach knapp sieben Jahrzehnten die Zeit des Nürnberger „Rädda Barnen“ endgültig abgelaufen, nachdem das nördliche der drei Häuser bereits 2013 abgebrochen worden ist. Ein Zeugnis gelebter Solidarität und guten Designs verschwindet. Nürnberg, das schon so viel durch Krieg und Pragmatismus eingebüßt hat, verliert ein weiteres Baudenkmal, ein Denkmal, das untrennbar mit den Jugend- und Kindheitserinnerungen Tausender verknüpft ist.

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