Schwieriger Kampagnen-Start für türkische Opposition

23.2.2017, 05:57 Uhr
Tekin Bingöl (2. v. li.), stellvertretender CHP-Vorsitzender und seinen Mitstreitern blieb nichts anderes übrig, als ihre Argumente  im kleineren Rahmen bei einer Pressekonferenz in einem Büro in der Südstadt darzulegen, da in der Ditib-Moschee parteipolitische Aktivitäten nicht stattfinden dürfen.

© Volkan Altunordu Tekin Bingöl (2. v. li.), stellvertretender CHP-Vorsitzender und seinen Mitstreitern blieb nichts anderes übrig, als ihre Argumente im kleineren Rahmen bei einer Pressekonferenz in einem Büro in der Südstadt darzulegen, da in der Ditib-Moschee parteipolitische Aktivitäten nicht stattfinden dürfen.

An Gegensätzen hat es der türkischen Gesellschaft noch nie gemangelt. Aber keine Frage spaltet die Türkei derzeit mehr als das am 16. April anstehende Referendum. 55 Millionen Wähler in der Türkei sind aufgerufen, über 18 Änderungen an der Verfassung abzustimmen, die aus dem bisherigen parlamentarischen Regime ein Präsidialsystem machen. Da von den ebenfalls wahlberechtigten  2,9 Millionen türkischen Staatsbürgern im Ausland knapp die Hälfte in Deutschland leben, machen Befürworter wie Gegner vor dem Referendum auch hier mobil.

Oder sie versuchen es zumindest. Denn nur die Verfechter des Präsidialsystems - allen voran Staatspräsident Recep Tayyip Erdoðan, die islamisch-konservative Regierungspartei AKP und die nationalistische MHP - können bislang groß auftrumpfen. So zum Beispiel beim kürzlichen Wahlkampfauftritt des türkischen Premiers Binali Yildirim, der  vor rund 10.000 Zuhörern in der Oberhausen Arena die Werbetrommel für die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen rührte.

"Keine Politik bitte!"

Der "Nein"-Fraktion dagegen, die unter anderem aus der sozialdemokratischen CHP, der prokurdischen HDP, sowie Gewerkschaften, Akademikern und Juristen besteht, fällt es deutlich schwerer, ihren  Argumenten in "Almanya" Gehör zu verschaffen. Sie müssen kleinere Brötchen backen und versuchen es mit bescheideneren Vorträgen und Infoveranstaltungen. Wie mühsam das sein kann, zeigte sich nun auch in Nürnberg. Ein "Bürgergespräch" in der Teestube der Eyüp-Sultan-Moschee etwa, für das hiesige Sozialdemokraten den stellvertretenden CHP-Vorsitzenden Tekin Bingöl gewonnen hatten, geriet zum Flop.

Die Besucher seien zwar herzlich willkommen und frei, sich mit Moscheebesuchern und Gemeindemitgliedern unterhalten. Politische Ansprachen oder auch nur das Verteilen von Flyern dagegen, stellte der Vorsitzende des Moscheevereins  zur Verblüffung der Gäste klar, habe man zu unterlassen. Der Grund: Der Ditib-Verein sei laut Satzung zu politischer Neutralität verpflichtet. Parteipolitische Aktivitäten seien gerade jetzt, wo der Verband  nach Bespitzelungsvorwürfen gegen einzelne Ditib-Imame ohnehin öffentlich in der  Kritik steht, zu heikel.

So blieb Bingöl und seinen Mitstreitern nichts anderes übrig, als ihre Argumente  im kleineren Rahmen bei einer Pressekonferenz in einem Büro in der Südstadt darzulegen. So wie es auch die neugegründete Nürnberger "Nein-Plattform" tat, die  unabhängig von der CHP agiert und sich einen Tag später ebenfalls mit einer Presserklärung an die Öffentlichkeit wandte. Ihr Gründer, Hulusi Kocak, sprach dabei "von zahlreichen Untertützern aus der hiesigen türkischen Geschäftswelt", die sich aus Sorge vor Umsatzeinbußen aber bedeckt hielten.

"Ende des Rechtsstaats"

Obwohl die Gegner bislang nicht kooperieren, teilen sie doch die selben Vorbehalte gegen die Verfassungsänderung: Sie warnen allesamt vor dem Ende der Demokratie und des Rechtsstaats in der Türkei. Das vorgeschlagene System vergrößere nur die Machtfülle von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, beende jede Gewaltenteilung und führe zu einer Ein-Mann-Dikatur.

Der Entwurf macht den direkt gewählten Staatspräsidenten in der Tat zum Regierungschef, der alle exekutiven Funktionen des Premierministers übernimmt. Legislativ darf er zudem Dekrete von Gesetzeskraft erlassen, das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen. Auch sein Einfluss auf die Gerichtsbarkeit wächst, da er künftig eine Doppelfunktion als Präsident und Vorsitzender der Mehrheitsfraktion im Parlament einnehmen darf und so - teils direkt, teils indirekt - bei der Ernennung fast aller hohen Richter Mitsprache hat.

Befürworter verteidigen den Systemwechsel genau deswegen: Sie preisen einen Präsidenten mit weitreichenden Befugnissen quasi als Allheilmittel gegen alle aktuellen Probleme des Landes an. Nur ein starker Mann an der Spitze könne dem Terror von PKK und IS Einhalt gebieten, das Gülen-Netzwerk - dem der vereitelte Putsch im Juli angelastet wird - bekämpfen, türkische Interessen im syrischen Konflikt wahren und die sieche Wirtschaft wiederbeleben.

Der Ausgang des Referendums ist derzeit noch nicht abzusehen: Umfragen zufolge liegen beide Lager in der Türkei derzeit etwa gleich auf, reklamieren aber jeweils etwa 55 bis 60 Prozent Wählerzustimmung für sich.

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