"Seid Ihr bescheuert?": Nürnberger SPD-Basis ist entsetzt

16.2.2018, 15:33 Uhr

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Wer in dieser Woche versucht, die SPD in ihrem Domizil im Karl-Bröger-Haus zu erreichen, kann Pech haben. Wegen Umbauarbeiten komme es zu Einschränkungen des Geschäftsbetriebs, verkündet der Anrufbeantworter. Die SPD – eine Baustelle. Dieses Bild passt nur zu gut in diesen Tagen.

Anja Prölß-Kammerer, Chefin der Rathaus-SPD, kann nur noch von einem "Lachen der Verzweiflung" sprechen, wenn man sie auf die Dramen in der ältesten Partei Deutschlands anspricht.

Anja Prölß-Kammerer, Chefin der Rathaus-SPD, kann nur noch von einem "Lachen der Verzweiflung" sprechen, wenn man sie auf die Dramen in der ältesten Partei Deutschlands anspricht. © Foto: Franke/Pfrogner

Anja Prölß-Kammerer lacht dann auch erst einmal auf, als sie auf die Dramen in der ältesten Partei Deutschlands angesprochen wird. "Das ist ein Lachen der Verzweiflung", schiebt sie nach. Mit ungläubigem Staunen hat die Chefin der Rathaus-SPD verfolgt, wie ihr eben noch Parteivorsitzender Martin Schulz trotz anderslautender Ansagen ankündigte, Außenminister werden zu wollen und Noch-Außenminister Sigmar Gabriel öffentlich zurückkeilte. Wie Schulz schließlich zurücktrat, Andrea Nahles als kommissarische Vorsitzende vorschlug, um dann Olaf Scholz aus dem Hut zu zaubern, weil die Juristen in der Partei angesichts dieses Plans laut aufgejault hatten.

"Wie kann so etwas passieren?", meint Prölß-Kammerer. "Redet Ihr nicht miteinander?", würde sie die Parteispitze in Berlin gern fragen. Sie sorgt sich, dass das Chaos auf Bundesebene auf die Kommunalpolitik abfärbt. Es sei kein Wunder, wenn die Bürger fragten: "Seid Ihr bescheuert?" Aber es gibt nicht nur solche Reaktionen. Prölß-Kammerer erntet auch Mitleid.

Die Fraktionschefin unternimmt keinen Versuch, die Lage schönzureden. Dass die SPD in Umfragen nicht einmal mehr auf 17 Prozent kommt, findet sie erschreckend. 20 Prozent seien schon gruslig gewesen. Aber dass sich die SPD jetzt knapp vor der AfD bewege, "ist schrecklich". Amelie Erber ist erst 30 Jahre alt, aber schon ihr halbes Leben lang bei der SPD. Mit 14 ging sie zu den Jusos, weil sie mit der Agenda 2010 nicht einverstanden war. Sie hat also schon Aufs und Abs der Partei miterlebt, aber angesichts der aktuellen Umfrageergebnisse wird ihr schon ein wenig flau. "Ich finde das sehr traurig für die Partei", sagt die Vorsitzende des SPD-Ortsvereins in Wöhrd. Es sei "mehr als peinlich", was in Berlin passiert sei. Erber findet das umso ärgerlicher, weil der mit der Union ausgehandelte Koalitionsvertrag "auf jeden Fall SPD-Handschrift trägt. Aber wir schaffen es nicht, das entsprechend zu verkaufen."

Was Oberbürgermeister Maly sagt

Oberbürgermeister Ulrich Maly haben die schlechten Umfragewerte nicht überrascht: "Das ist leider eine natürliche Reaktion auf das Bild, das wir nach der Wahl dargeboten haben. Wir können nur hoffen, dass jetzt innerhalb der Partei über den Koalitionsvertrag gesprochen wird." Und nicht mehr über Personalfragen. Über den Vertrag müsse schließlich entschieden werden und nicht über die Frage, wer Außenminister werde.

Auch Nürnbergs SPD-Chef Thorsten Brehm reagiert demonstrativ cool auf die jüngsten Horrormeldungen. "Da muss man durch. Ich würde mich nicht von Umfrageergebnissen irritieren lassen." Was in Berlin abgelaufen ist, goutiert natürlich auch er nicht. Ihn und viele andere Genossen wurmt, dass die Personalquerelen die "positiven Aspekte" der Koalitionsverhandlungen überschatten. Dass die Sozialdemokraten so viele, noch dazu wichtige Ministerien bekommen haben, sei doch "erste Klasse", findet Brehm.

Kritische oder schweigende Stimmen 

Der Parteichef gehört wie Maly zu denen, die den Koalitionsvertrag verteidigen. Eine Prognose, wie die Genossen beim Mitgliedervotum entscheiden, will er jedoch nicht abgeben. Er gibt nur zu bedenken, dass es neben den kritischen Stimmen "auch viele gibt, die schweigen. Denen unterstelle ich, dass sie den Weg in die Große Koalition unterstützen."

Trotz Sorge macht es Rüdiger Löster, ehemaliger SPD-Geschäftsführer, Mut, dass die SPD Zulauf erfährt.

Trotz Sorge macht es Rüdiger Löster, ehemaliger SPD-Geschäftsführer, Mut, dass die SPD Zulauf erfährt. © Foto: Franke/Pfrogner

Einer, der diesen Weg nicht mitgehen will, ist Rüdiger Löster, eingefleischter Sozialdemokrat, engagierter Antifaschist, ehemaliger SPD-Geschäftsführer. Er hat wie die Jusos die Sorge, dass die SPD weiter an Zustimmung verliert, wenn sie sich auf das Bündnis mit der Union einlässt. Dass sie schon vorher durch das "unglückliche Agieren" der Parteispitze tief gesunken ist in der Wählergunst, "ist katastrophal".

Mut macht Löster allerdings, dass die Nürnberger SPD großen Zulauf erfährt. Seit Jahreswechsel sind 207 neue Genossinnen und Genossen eingetreten, mittlerweile zählt die Partei über 2600 Mitglieder. Wie viele Eintritte der Anti-GroKo-Kampagne der Jusos "Tritt ein, sag Nein" geschuldet sind, das weiß allerdings niemand so genau. Das sei jedenfalls ein rekordverdächtiger Boom, sagt Parteichef Brehm. Ein Boom, der nicht so recht passen will zum Sinkflug der Partei.

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